Zusammenfassung

Otto Gross antwortet auf eine Nachricht von Frieda Weekley. Er befürchtet, daß sie sich nicht wiedersehen werden und versichert ihr, daß er der ihre sei. Er betont, daß er auch allein, im Unglück und im Glück, noch er selber sei. Das sei das Neue in ihm.

Er hofft, daß Sie "aus eigenem Wunsche" zu einem Treffen nach Holland kommt, um ihn zu wieder zu sehen. Er bittet sie, ihm oder Frieda Gross Mitteilung zu machen, wenn sie dorthin kommt.


Otto Gross an Frieda Weekley


V
Meine Geliebte,
Ich habe Deinen letzten Brief,
ich sehe Dich mit einem klar
gewordenen Blick und sehe, wie Du
schön bist und gross und aufrecht,
ich sehe auch die neue Vollendung in die
Tiefe und Höhe, zu der sich Deine
Seele aus sich selber gebaut hat.
Ich danke Dir, dass Du so herrlich
bist. Du hast eine Krone auf meine
Liebe gesetzt - und vielleicht als Scheide-
gruss - es klingt ein Ton von
Abschied in Deinen hohen Gesang
von neuer Kraft und Sicherheit
und Pracht - und neuem Glück - -
es ist ein hohes Neues in Dir
- gesegnet sei Dir's und leuchte
im Licht der kommenden Dinge
für Menschen neuerer Art [? Wort unleserlich]
nur ein grosses Erleben mit
solcher Gabe - Glück oder Schmerz -
mir ist mein Schmerz ein
grosses, grosses Glück geworden

Und jetzt - ich weiss nicht, ob Dich
Deine Wege nun in die Ferne
tragen werden und ob Du wieder-
kehren wirst zu mir - ob Ab-
schied oder Wiederfinden auf
höherer Stelle als je - ich weiss
es nicht. Du aber weisst, dass meine
grosse Liebe unlösbar lebt und
wächst und - wartet in mir.
Dass sie lebendig dasteht für
jede Stunde, in der Du kom-
men willst. Du weisst es ja,
es kann sich nichts ändern
in mir von grossen guten Gefühlen
- ich werde Dich lebendig lieben
wie einst und mehr als einst
und ob Du über Jahr und Jahr
noch wieder kommst - und ob
ich hoffe oder nicht mehr hoffe
- Du weisst, ich bin Dein.
Ich bin, solange ich noch ich bin,
Dein - zu jeder Stunde, Du
weisst es. In einer grossen Liebe,
grösser, viel grösser und reicher

als einst - denn ich bin mehr
als ehemals. Denn meine Liebe
ist frei und schwebend geworden
ich brauche nichts mehr.
Ich brauche nur mich selber
und meine Kraft als Körper und
Geist - mein Ich allein. Ich bin
noch fähiger zum Glück, noch
dankbarer - ich bin im Glück
noch mehr als einst - ich bin
aber auch allein noch ich,
ich bin im Glück und Unglück
ein Wollender und Hoffender, -
das ist das Neue in mir. Ich
bin jetzt stark im Unglück
und im Glück - ich bin jetzt
nicht mehr in mir selber dem
Unglück zur Zerstörung preis-
gegeben. Das Unglück hat über
mich die Kraft verloren, zu
lähmen und entstellen, was in
mir selber ist
Ich bleibe,

was ich bin, und gehe weiter -
ob Alles, Alles mir verloren
geht. Nur dass mir das Ganze
zu Grossem verloren gehe, dass
nichts nach unten versinke,
was bei mir war - nur dass
mir Herrliches nicht anders ver-
loren gehe, als um zu steigen
wie Du ! Dass mir der Ton von
Abschied ein Ton von Grösse
und neuem Werden sei -
ein Ton wie der, der mir von Dir
herüber klingt - - Du bist ein
herrliches Weib, ich danke Dir.
Und sei nicht traurig über mich
- Du weisst, dass Nichts 
mehr mich lähmen und nichts
mehr mich enstellen [vielmehr: entstellen, d. Hrsg.] kann.
Dass nichts mehr an meinem
Wesen Schaden thut und an
dem Willen, der in mir steigen
will - - - dass ich nichts
mehr verlieren kann von mir
- -

Auch meine Liebe zu Dir [1verändert
sich nicht
- bewahre das : niemals.
Du bist mir immer als wärest
Du nie von mir gegangen. Und
unverändert - nur gesteigert
ist auch die Kraft zum Glück
in mir - gesteigert meine Kraft [2] zum Glück
und zur Pracht der Liebe mit Dir
wenn Du zu mir kommst.
Wann immer Du kommst.
Ob jetzt, ob einst noch in der
kommenden Zeit - für immer.
Immer, wenn mich ein neuer
Tag und Traum vor Dein Ver-
langen stellt. Immer, Geliebte. -
Otto
Umdrehen !!

P.S. Du hast mich ja wohl richtig
verstanden, auch für's Einzelne.
Du weisst, mit welcher Seligkeit
Du mich beschenken würdest,
wenn Du nach Holland kämest [3]
- wenn Du aus eigenem Wunsche
kämest. - - - Ich wäre glücklicher
als ich mich jemals früher für
fähig gehalten hätte - weil ich
der grossen Freiwilligkeit noch
näher gekommen bin. Du musst
aber wissen, dass Du nicht etwa
von Sorgen oder Wohlwollen
beeinflusst werden brauchst -
dass nun kein Unglück mehr
von mir selber etwas wegnehmen
kann. - Solltest Du kommen
wollen, dann schreib' an mich
oder Friedl [4] - ich wiederhole, wenn
es Dich freut um des reinen
Glückes willen
! - sonst schreib'
mir oder komm, wenn Du irgend
einmal daran denkst. Und wenn es
anders kommt - "Unsterblichem Veilchen
Gruss in Unsterblichkeit." -


1) Die beiden vorstehenden Worte wurden von O. G. nachträglich in den Text eingefügt
2) Die beiden vorstehenden Worte wurden von O. G. nachträglich in den Text eingefügt
3) Gross will am Kongreß für Neuro-Psychiatrie in Amsterdam teilnehmen, der vom 2.-7. September 1907 stattfindet, und dort referieren
4) Gemeint ist Gross' Ehefrau Frieda