Die Auseinandersetzung mit Leben, Werk und Wirkung von Otto Gross führt zwangsläufig zu der Frage, mit welcher Berechtigung, aber auch mit welchen Motiven psychopathologische Kategorien auf seine Person Anwendung gefunden haben.

Aus seiner Biographie erschließen sich frühkindliche Traumata, intensive pharmakologische Fachkenntnisse sowie frühe Drogenerfahrungen und -abhängigkeit, die in zahlreichen - auf recht unterschiedlichen Motiven und Fachkenntnissen basierenden - Diagnosen ihren Niederschlag gefunden haben. Sie sollen im Folgenden - so weit verfügbar - vorgestellt werden.

Es ist bekannt, dass Otto Gross 1901, als Schiffsarzt auf der Hamburger Dampferlinie "Kosmos", Reisen nach Patagonien, Punta Arenas, Santiago, Montevideo und Buenos Aires unternahm und in dieser Zeit intensive Drogenerfahrungen machte, die sicher in seine im gleichen Jahr publizierte Veröffentlichung "Compendium der Pharmako-Therapie für Polikliniker und junge Ärzte" Eingang fanden.

Frieda Schloffer, die Gross 1902 kennenlernt, berichtet "dass er Morphium frisst, richtet sich offenbar zu Grunde" (Brief an Else von Richthofen vom 21. März 1902, Medford, MA: Tufts University Archive, MS 008/001-001#025), aus dem Folgejahr datiert ein erster Klinikaufenthalt.

21. Juni 1902
Otto Gross als Patient 1. Klasse im Burghölzli, Zürich: "Der Unterzeichnete erklärt hiermit, dass er freiwillig in die Heilanstalt Burghölzli eintritt und sich verpflichtet, sämmtlichen Anordnungen der Aerzte und des Wartepersonals willig nachzukommen und sich in die Hausordnung zu fügen." Handschriftlicher Zusatz: "... und dass er wünscht, dass man ihn wenn nötig auch gegen seinen Willen in der Anstalt zurückhält." (Heuer, Auf verwehten Spuren verschollener Texte, in: Dehmlow & Heuer (Hrsg.): 1. Internationaler Otto Gross Kongress, Hannover/Marburg 2000, S. 171)

4. Juli 1902
Eugen Bleuler schreibt an Hans Gross in Prag, Jungmannstr. 18: "Wenn Herr Dr. [gemeint ist Otto Gross] nach der beabsichtigten Erholungsreise mit seiner Mutter gerne für einige Zeit als Volontär hier arbeitet, sind wir gerne bereit, ihn aufzunehmen. Er müsste aber im Hause wohnen und sich zu regelmäßiger Mitarbeit verpflichten." (Küchenhoff, Otto Gross im Spannungsfeld von Psychiatrie und Psychoanalyse - aus dem Blickwinkel des Burghölzlis, in: Heuer (Hrsg.): 2. Internationaler Otto Gross Kongress, Marburg 2002, S. 51)

10. Juli 1902
Otto Gross wird aus dem Burghölzli entlassen. In der Krankengeschichte heißt es am Austrittstag: "Wird von der Mutter abgeholt. Zeigt dabei schon wenig Neigung, später hier als Volontär einzutreten, fürchtet offenbar die Kontrolle hier. Sehr euphorisch, unruhig. Entlassen." (Küchenhoff, Otto Gross im Spannungsfeld von Psychiatrie und Psychoanalyse - aus dem Blickwinkel des Burghölzlis, in: Heuer (Hrsg.): 2. Internationaler Otto Gross Kongress, Marburg 2002, S. 51)

Alfred Springer verortet 1905 eine weitere Patientenerfahrung: "Er versuchte in diesem Jahr in der Naturheilanstalt auf dem Monte Verita in Ascona erneut eine Entwöhnung." (vgl. Alfred Springer: Otto Gorss [sic!] - Biographie. www.psyalpha.net/) Emanuel Hurwitz datiert den Aufenthalt in das Folgejahr: "Otto Gross hatte sich 1906 aus einem bestimmten Grund nach Ascona begeben: er und seine Frau hatten sich entschlossen, ein Kind zu haben, Otto wollte sich in Ascona vom Morphium und Kokain entwöhnen, was ihm auch weitgehend gelang." (Hurwitz, Paradies-Sucher zwischen Freud und Jung, Zürich u. Frankfurt 1979, S. 116-117)

Einen Hinweis auf ein abweichendes Verhalten ergibt sich aus dem Schriftwechsel zwischen Sigmund Freud und C. G. Jung. So schreibt Freud am 1. Juli 1907 an Jung: "(...) Darin [in den im Text der Schrift enthaltenen Superlativen, Anm. d. Hrsg.] zeigt sich wohl das abnorme Gefühlsleben von Groß, von dem Sie mir Mitteilung gemacht haben" (Freud/Jung, Briefwechsel, Frankfurt a.M. 1974, S. 76).

Vom 25. Januar 1908 datiert ein Brief Marianne Webers an Marie Baum, in dem die Verfasserin auch auf die gesundheitliche Situation von Otto Gross zu sprechen kommt: “Auch ich war viel mit der Frida [gemeint ist Frieda Gross] zusammen und hörte viel von dem fast wirklich verrückten Leben des ‘Otto’ - es ist sehr zu befürchten, dass er sich völlig zugrunde richtet. (Bitte dies alles im Vertrauen.) Mehr darf ich nicht über diese Dinge und Leute berichten, sonst werde ich indiskret, und Du darfst auch schon von diesem nichts sagen, gelt? (Dass Else Jaffé vor vier Wochen ein Bübchen zur Welt gebracht hat, wirst Du wissen. Es geht ihr ganz gut.)." (Roth, Edgar Jaffé, Else von Richthofen and Their Children, New York, N.Y. 2012, S. 55)

Im Vorfeld der Zusammenkunft der Psychoanalytiker am 26. und 27. April 1908 in Salzburg ist Gross wieder Gegenstand der Kommunikation zwischen Freud und Jung.

19. April 1908
Sigmund Freud an C. G. Jung: "Otto Groß wird uns allerdings auch beschäftigen; er bedarf dringend Ihrer ärztlichen Hilfe; es ist schade um den hochbegabten und überzeugten Mann. Er steckt im Kokain und dürfte zu Beginn der toxischen Kokainparanoia stehen." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 156)

24. April 1908
Jung schreibt an Freud: "Eines bloß beeinträchtigt mich sehr und das ist die Affaire mit Groß. Wie sein Vater mir dringend geschrieben hat, sollte ich ihn mit nach Zürich nehmen. Unglücklicherweise habe ich nun am 28. IV. noch dringende Geschäfte mit meinem Architekten in München. Unterdessen läuft mir dann natürlich Groß davon. Leider genießt Bleuler sein Vertrauen nicht, sonst könnte er ihn mitnehmen. Groß nimmt nicht nur Kokain, sondern auch Opium in bedeutenden Mengen." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 157)

6. Mai 1908
Sigmund Freud an C. G. Jung: "Anbei das Zeugnis für Otto Groß. Wenn Sie [gemeint ist C. G. Jung, Anm. d. Verf.] ihn haben, lassen Sie ihn nicht vor Oktober, wo ich ihn übernehmen kann, aus." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 163) Der Text dieses Zeugnisses lautet wie folgt: "Ich bestätige, dass der mir seit Jahren persönlich bekannte Dr. Otto Gross, Privatdozent für Neuropathologie dringend der Aufnahme in einer geschlossenen Anstalt bedarf, um daselbst unter ärztlicher Überwachung die Entwöhnung von Opium und Kokain durchzuführen, welche Medikament er in den letzten Jahren in einer seine körperliche wie seine psychische Gesundheit bedrohenden Weise zu sich genommen hat." (vgl. www.dehmlow.de/images/documents/zeugnis_freud.jpg)

11. Mai 1908
Otto Gross beginnt mit einer weiteren Entziehungskur im Burghölzli, die einen ungewöhnlichen Verlauf nehmen wird.

C. G. Jung vor dem Burghoelzli: "Ich schreibe jetzt nur ganz kurz, weil ich jetzt Groß bei mir habe, ..."14. Mai 1908
C. G. Jung an Sigmund Freud: "Ich schreibe jetzt nur ganz kurz, weil ich jetzt Groß bei mir habe, der mich eine unglaubliche Zeit kostet. Es scheint im wesentlichen Zwangsneurose zu sein. Der nächtliche Lichtzwang ist schon weg. Wir sind jetzt an den infantilen Identifikationssperrungen speziell homosexueller Natur. Ich bin gespannt, wie weit es gelingt." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 167-168)

19. Mai 1908
Sigmund Freud an C. G. Jung: "Ihre Diagnose über Groß halte ich für richtig. Seine erste Jugenderinnerung (in Salzburg mitgeteilt) ist, dass sein Vater einem Besucher warnend sagt: Geben Sie acht, er beißt! Es fiel ihm bei meiner Rattengeschichte ein." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 169)

25. Mai 1908
C. G. Jung an Sigmund Freud: "Er ist eine typische Zwangsneurose mit vielen interessanten Problemen. Wo ich nicht mehr weiterkam, hat er mich analysiert. Auf diese Weise habe ich auch an meiner eigenen Gesundheit profitiert. Gegenwärtig führt Groß die Opiumentziehung freiwillig durch, nachdem ich ihm bis vorgestern immer die volle Ration gegeben hatte, um nicht durch Abstinenzgefühle die Analyse zu stören. Gestern ist Groß freiwillig von 6,0 auf 3,02 pro die zurückgegangen, ohne Abstinenzgefühle. Psychisch hat sich sein Zustand bedeutend gehoben, so dass die Zukunft weniger düster erscheint. Er ist ein Mensch von seltener Anständigkeit, mit dem man sofort ausgezeichnet leben kann, sobald man die eigenen Komplexe fahren lässt. Heute habe ich den ersten Ruhetag, denn gestern habe ich die Analyse beendigt. Es wird voraussichtlich bloss noch Nachlese geben über eine allerdings sehr ausgedehnte Reihe von kleinen Zwängen sekundärer Wichtigkeit.
Die Analyse hat allerhand wissenschaftlich schöne Resultate ergeben, die wir bald zu formulieren trachten." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 169-170)

29. Mai 1908
Sigmund Freud an C. G. Jung: "... Gross ist ein so wertvoller Mensch und ein so starker Kopf, dass Ihre Arbeit den Wert einer Leistung für die Allgemeinheit hat. Es wäre sehr schön, wenn als Residuum dieser Analyse ein Verhältnis von Freundschaft und Mitarbeiterschaft zwischen Ihnen bliebe. Übrigens wundere ich mich über das Tempo der Jugend, die in zwei Wochen solche Aufgaben erledigt, bei mir hätte es länger gedauert. Unsicher wird die Beurteilung eines Menschen allerdings, solange er seine Widerstände toxisch beschwichtigt." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 170-171)

Am 17. Juni entzieht sich Otto Gross der weiteren Behandlung und flieht aus dem Burghölzli. Die kollegiale Korrespondenz in der Affäre geht allerdings weiter.

19. Juni 1908
C. G. Jung an Sigmund Freud: "Endlich nach sehr langer Zeit komme ich wieder zu einem ruhigen Moment, wo ich mich zu einem Briefe sammeln kann. Bis jetzt hat mich die Affäre Gross in des Wortes vollstem Sinne aufgezehrt. Ich habe ihm Tage und Nächte geopfert. Die letzten drei Wochen haben wir nur mit ganz frühinfantilem Material gearbeitet, wobei ich allmählich zu der traurigen Einsicht kam, dass die infantilen Komplexe zwar alle darstellbar und begreifbar waren, auch vom Patienten eingesehen und vorübergehend realisiert wurden, daß sie aber übermächtig sind, d.h. dauernd fixiert und aus unerschöpflichen Quellen ihre Affekte beziehen; es gelingt für einen Moment der höchsten beidseitigen Einsichts- oder Einfühlungsanstrengung, das Leck zu stopfen. Der nächste Moment öffnet es wieder. Alle diese Momente der tiefsten Einfühlung hinterlassen keine Spur, sie werden rasch zum wesenlosen Erinnerungsschatten. Es gibt keine Entwicklung, kein psychologisches Gestern für ihn, sondern die Ereignisse der frühen Kindheit bleiben ewig neu und wirksam, so dass [er] trotz aller Zeit und aller Analyse die Ereignisse des Heute mit der Reaktion des sechsjährigen Knaben begrüßt, dem die Frau immer nur die Mutter ist, jeder Freund, jeder Wohl- oder Übelwollende der Vater, dessen Welt eine Knabenphantasie mit unerhörten Möglichkeiten ist.
Sie werden leider aus meinen Worten schon die Diagnose gelesen haben, an die ich immer doch nicht glauben wollte und die ich jetzt doch mit erschreckender Deutlichkeit vor mir sehe: Dementia praecox.
Eine möglichst sorgfältige Anamnese von seiner Frau und eine teilweise Psychanalyse derselben haben mir noch allzuviele Bestätigungen der Diagnose geliefert. Der Abgang von der Bühne entspricht der Diagnose: Vorgestern ist Groß in einem unbewachten Moment aus dem Hausgarten über die Mauer entflohen und wird zweifellos bald wieder in München auftauchen, um dem Abend seines Schicksals entgegenzugehen.

C. G. Jung: Über die Psychologie der Dementia praecox : ein Versuch (1907)

Trotz allem ist er mein Freund, denn er ist im Grunde genommen ein guter und vornehmer Mensch mit ungewöhnlichem Geist. Er lebt jetzt im Wahne, ich hätte ihn gesund gemacht, und er hat mir bereits aus der Vogelfreiheit einen von Dank überströmenden Brief geschrieben. Er ahnt in seiner Ekstase nicht, wie die von ihm nie gesehene Realität sich an ihm rächen wird. Er ist ein Mensch, den das Leben ausstoßen muss. Denn nie wird er mit Menschen auf die Dauer leben können. [...] Für mich ist dieses Erlebnis eines der schwersten meines Lebens, denn in Groß erlebte ich nur allzuviele Seiten meines eigenen Wesens, so dass er mir oft vorkam wie mein Zwillingsbruder minus Dementia praecox. Das ist tragisch. Sie mögen daraus ermessen, was für Kräfte ich in mir aufgeboten habe, um ihn zu heilen. Ich möchte trotz des Leidens aber um alles diese Erfahrung nicht missen, denn sie hat mir endlich bei einem einzigartigen Menschen eine einzigartige Einsicht in das tiefste Wesen der Dementia praecox gegeben.
Was durch die Krankheit fixiert wird, das ist nicht etwa irgendein Komplex des spätern Lebens, sondern der früheste infantile Sexualkomplex. Der anscheinend spätere 'Ausbruch' der Krankheit ist nichts als ein sekundärer Konflikt, ein 'enchevetrement' der infantilen Einstellung, als solcher lösbar, aber nur bedingt. In der Hysterie ist Pompeji und Rom, in der Dementia praecox nur Pompeji. Die Realitätsentwertung in der Dementia praecox scheint daher zu rühren, daß die Flucht in die Krankheit in einer so frühen Infantilzeit stattfindet, wo der Sexualkomplex noch völlig autoerotisch ist; daher dauernder Autoerotismus." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 172-174)

Henneberg

Emanuel Hurwitz kommentiert die Diagnose beinahe 100 Jahre später: "Man könnte Jung zugute halten, dass seine eigene diagnostische Unterscheidung zwischen Neurosen und Dementia praecox, 1906 formuliert, vor allem auf die graduell unterschiedlich tiefe Fixierung der Komplexe abstellte. Doch ist dieses Kriterium, weil ein rein quantitatives, äusserst unsicher und schwammig. Vor allem haftet ihm der Mangel an, dass die Tiefe der Komplexfixierung allein aus deren Beeinflussbarkeit abgelesen wird. Komplexe, die sich verändern lassen, gehören zu den Neurosen, Komplexe, die unverändert bestehen bleiben, zu den Psychosen bzw. zur Dementia praecox. Dass die Effizienz der ärztlichen Behandlung, also auch die Fähigkeit des behandelnden Arztes, auch eine Rolle spielen könnte, bleibt in dieser Diagnostik ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass bei solchen Behandlungen – wie gerade die Analyse von Otto Gross durch Jung zeigt – Übertragung und Gegenübertragung eine entscheidende Rolle spielen." (Hurwitz, Otto Gross’ "Schizophrenie", in: Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. Bd. 152, H. 1. 2001, S. 39)

21. Juni 1908
Sigmund Freud an C. G. Jung: "Sein Benehmen vor der Kur war ja ganz paranoid; Sie verzeihen mir den altmodischen Ausdruck, da ich in Paranoia einen psychologisch-klinischen Typus anerkenne, unter Dementia praecox mir noch immer nichts Präzises vorstellen kann, und die Unheilbarkeit und der schlechte Ausgang weder der Dementia praecox regelmässig zukommt noch sie von Hysterie und Zwangsneurose zu scheiden vermag. Ich schob es aber auf die Medikamente, speziell das Kokain, das, wie ich weiß, eine toxische Paranoia erzeugt. Ich habe nun keinen Grund, Ihre Diagnose zu bezweifeln, an sich nicht, Ihrer grossen Erfahrung in Dementia praecox wegen nicht, und dann auch, weil Dementia praecox ja oft keine rechte Diagnose ist. Über die Unbeeinflussbarkeit und das endliche Schicksal dürften wir einer Meinung sein. Ob es nicht eine andere (Zwangs-)Psychoneurose mit negativer Übertragung ist, wegen des feindseligen Verhältnisses zum Vater, was ja ein Fehlen oder Erlahmen der Übertragung vortäuschen kann? Ich weiss leider vom Mechanismus der Dementia praecox oder Paranoia zu wenig im Vergleich mit Hysterie oder Zwangsneurose und wünsche mir schon lange, da enen starken Eindruck zu erleben." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 175)

26. Juni 1908
C. G. Jung an Sigmund Freud: "Nach dem letzten Berichte von Frau Dr. Groß an meinen Chef benimmt sich Groß richtig paranoid. Er behauptete z.B., er habe in seinem Hotel in Zürich nicht bleiben können, weil er bemerkt habe, dass einige Männer im obern Stock ihn auf seinen Geisteszustand beobachtet hätten (!), in München hörte er in seiner Wohnung eine Stimme auf der Strasse, welche rief: 'Ist der Doktor zu Hause?' Dann höre er Klopfen in den Wänden und im oberen Stock." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 177)

30. Juni 1908
Eugen Bleuler aus Zürich an Hans Gross (bis auf P.S. und Unterschrift von der Hand C. G. Jung’s): "Auf Ihre gesch. Anfrage vom 26.6. gestatten wir uns, Ihnen folgende Auskunft zu geben: Was unsere Ansicht vom Geisteszustand Ihres Herrn Dr. Otto Gross betrifft, so ist zu erwähnen, dass Dr. Jung, der die spezielle analytische Behandlung des Kranken übernommen hatte, zur Überzeugung gelangt ist, dass es sich um eine eigentliche Geistesstörung handelt, und zwar um eine im Prinzip unheilbare, nämlich Dementia praecox. Der voraussichtliche Verlauf wird ein allmählicher Abschluss gegen alle Beeinflussung sein, dabei werden seine bisherigen pathologischen Charakterzüge noch viel schärfer als bisher in die Erscheinung treten zusammen mit eigentlichen Symptomen der Geisteskrankheit, nämlich Beziehungs- res. Verfolgungsideen, evtl. Größenideen, Illusionen und Halluzinationen." (Küchenhoff, Otto Gross im Spannungsfeld von Psychiatrie und Psychoanalyse - aus dem Blickwinkel des Burghölzlis, in: Heuer (Hrsg.): 2. Internationaler Otto Gross Kongress, Marburg 2002, S. 55)

Bleuler2

18. Juli 1908
Freud schreibt an Jung: "... denn ich entbehre keineswegs der Schätzung für die harte Belastung, die Sie auf sich genommen haben, weiß auch, daß Otto Groß ein furchtbares Übergewicht auf der Waagschale war." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 182)

13. August 1908
Freud schreibt an Jung: "Von Groß habe ich nicht ein Sterbenswörtchen mehr gehört." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 188)

9. September 1908
Jung schreibt an Freud: "Ich freue mich sehr, wieder einmal ungestört mit Ihnen sprechen zu können, denn seitdem ich bei Ihnen in Wien gewesen bin, hat sich sehr, sehr vieles geändert, und vieles ist neu und weiter geworden. In dieser Beziehung hat mir der sehr schwer verdauliche Kontrast 'Groß' sehr gut getan." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 189f.)

21. Oktober 1908
Jung schreibt an Freud: "Das Neueste von Groß ist, daß seine Frau sich nun wieder nicht von ihm trennen will, weil es ihm angeblich gut gehe. Haben Sie übrigens in der Hardenschen 'Zukunft' gelesen, was Groß jetzt literarisch arbeitet? Wenn's so weiter geht, kann die Sache noch gut herauskommen. Seine Familie hat jetzt meine Diagnose akzeptiert, was für seine Frau eine große Erleichterung bedeutet." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 193)

25. Februar 1909
C. G. Jung schreibt an Ernest Jones (der im Vorjahr mit Gross' Frau Frieda eine Beziehung unterhielt): "Ich glaube, dass man mit der offenen Verkündigung gewisser Dinge den Ast absägt, auf dem die Cultur sitzt: ... Jedenfalls ist das Extrem, das Gross verkündet, ganz entschieden falsch und derganzen [sic!] Richtung gefährlich - Gross sterilisiert sich, daher wird sich seine Gefährlichkeit vermindern." (Heuer, Die Wiederkehr des Verdrängten, in: Heuer (Hrsg.): 2. Internationaler Otto Gross Kongress, Marburg 2002, S. 88)

3. Juni 1909
Freud schreibt an Jung: "Ereignis ist ein gestern angelangtes Buch von Otto Groß: 'Über psychopathische Minderwertigkeiten', noch nicht studiert, aber offenbar wieder sehr wertvoll. von kühner Synthese und überreich an Gedanken, wieder auch an zweierlei Hervorhebungen im Druck (fett und gesperrt), was einen exquisit paranoischen Eindruck macht." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 249-50)

4. Juni 1909
Jung schreibt an Freud: "Sie [gemeint ist Sabina Spielrein] ist, wie Groß, ein Fall von Vaterbekämpfung, den ich gratissime (!) mit soundsoviel Zentnern Geduld in Dreiteufelsnamen heilen wollte und dazu selbst die Freundschaft mißbrauchte. [...] Groß und Spielrein sind bittere Erfahrungen." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 253)

7. Juni 1909
Freud schreibt an Jung: "Nun ein paar sachliche Nachrichten: Groß, 'Über psychopathische Minderwertigkeiten', Wien, Braumüller 1909. Ich habe das Buch vom Alten bekommen, der an meinen anerkennenden Dankbrief die Bitte knüpfte, ich möge dem Otto schreiben, wie sehr mir das Buch gefiele, und ich möchte doch über einige Partien desselben mündlich mit ihm verhandeln. Dann sollte ich dem Vater mein Urteil schreiben. Ich lehnte mit Entschiedenheit ab unter Berufung auf die Ergebnisse Ihrer Untersuchung. Vor Groß habe ich zuviel Respekt." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 255)

30. Juni 1909
Freud schreibt an Jung: "Machen Sie sich keine Vorwürfe, daß ich in die Sache [Sabina Spielrein hatte sich an Freud gewandt, Anm. d. Verf.] gekommen bin; das haben ja nicht Sie, sondern der andere Teil getan. Der Abschluß ist doch ein für alle Parteien befriedigender. Sie schwankten, wie ich sehe, zwischen Bleuler und Gross als extremen Ausschlägen. Denke ich daran, daß ich derselben Erfahrung mit Groß Ihre letzte Zuwendung und tiefe Überzeugung verdanke, so kann ich wieder nicht böse sein ..." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 262)

Es bedarf keiner besonderen Betonung, dass der oben geschilderte Verlauf der Ereignisse - der sich aus der Korrespondenz recht plastisch erschließt - dazu führte, Gross als Person als eine Bedrohung für die sich entwickelnde psychoanalytische Bewegung zu betrachten und zu ihm auf Distanz zu gehen.

Freud macht dies schon im Juni 1908 deutlich. Er schreibt an Jung: "Über Groß habe ich auch Nachricht von Jones, der jetzt wohl bei Ihnen ist. Es ist leider nichts über ihn zu sagen; er ist verfallen und wird unsere Sache nur schwer schädigen." (Freud/Jung, Briefwechsel, 1974, S. 180) Jung folgt dieser Marschlinie - mit Abstrichen. Er schreibt im Februar 1909 an Ernest Jones: "Ich glaube, dass man mit der offenen Verkündigung gewisser Dinge den Ast absägt, auf dem die Cultur sitzt: ... Jedenfalls ist das Extrem, das Gross verkündet, ganz entschieden falsch und derganzen [sic!] Richtung gefährlich - Gross sterilisiert sich, daher wird sich seine Gefährlichkeit vermindern." (Heuer, Die Wiederkehr des Verdrängten, in: Heuer (Hrsg.): 2. Internationaler Otto Gross Kongress, Marburg 2002, S. 88)

Vollständig ließen sich aber die Erkenntnisse von Gross nicht ausblenden, sie spielen sowohl in den Zeiten seines Aufenthaltes im Burghölzli als auch danach in den Kreisen der Psychoanalytiker eine Rolle. Bei der Sitzung der Wiener Psychoanalytische Vereinigung am 24. März 1909 bemerkt Freud im Anschluß an einige Fallschilderungen Stekels, daß "auch die Manie nichts als ein Verdrängungsmechanismus" sei, "wie schon Otto Groß darlegte" (Nunberg/Federn, Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 2, Frankfurt 1976, S. 163). Bei der Sitzung am 7. April 1909 bemerkt Otto Rank in seinem Referat "Zur Psychologie des Lügens" daß auf die "sexuelle Wurzel der Kleptomanie" schon Stekel im Anschluß an Otto Gross hingewiesen habe. In der sich anschließenden Diskussion weist Freud darauf hin, daß die Arbeiten von Groß und Stekel "nicht als etwas Definitives genommen werden" wollen (Nunberg/Federn, Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 2, Frankfurt 1976, S. 179, 182).

Am 16. Februar 1910 schreibt Sándor Ferenczi an Sigmund Freud: "Der kolossale Optimismus bei diesem Patienten erinnert schon an die manische Lustproduktion im Sinne Groß." (Freud/Ferenczi, Briefwechsel, Bd. I/1, Wien 1993, S. 218). Und am 22. März: "Ich lese jetzt Gross' Buch über die Minderwertigkeit und bin darüber entzückt. Kein Zweifel: unter denen, die Ihnen bis jetzt folgten, ist er der bedeutendste. Schade, daß er verkommen muß." (Freud/Ferenczi, Briefwechsel, Bd. I/1, Wien 1993, S. 233) Später im Jahr, am 26. Oktober tagt die Wiener Psychoanalytische Vereinigung. Nach dem Referat von Ludwig Klages, "Zur Psychologie der Handschrift", bemerkt Gaston Rosenstein, daß man sich, "bevor man sich der Untersuchung des psychischen Inhalts zuwendet, (...) sich erst mit den psychischen Tätigkeiten beschäftige(n)" und verweist auf Otto Gross (Nunberg/Federn, Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 3, Frankfurt 1976, S. 286). Am 13. März 1912 weist Paul Federn in der Fortsetzung der "Onanie-Debatte" "bezüglich der ganzen Auffassung der Hemmung auf Otto Gross hin", Gaston Rosenstein "bemerkt, daß er Groß zwar kenne, aber seine Erwähnung in [diesem] Zusammenhang nicht für wichtig gehalten habe. (...) Unter der Sejunktion sei ja bloß eine Anlage verstanden." (Nunberg/Federn, Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 4, Frankfurt 1976, S. 67f.). Und am 1. Mai 1912 bemerkt Freud bei der kritischen Besprechung von Arbeiten des Zentralblatts: "Die Manie ist ein Abwehrversuch durch Stimmungsänderung. Bei diesen Zyklothymien tritt an Stelle der Verdrängung ein toxischer Stimmungsmechanismus (Otto Groß)", wobei er sich offenbar auf Gross' Schrift "Das Freudsche Ideogenitätsmoment und seine Bedeutung im manisch-depressiven Irresein Kraepelins" bezieht (Nunberg/Federn, Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. 4, Frankfurt 1976, S. 93).

C. G. Jung wird sich viel später noch einmal an die Behandlung von Gross im Burghölzli erinnern. Am 4. Januar 1936 schreibt er an Fritz Wittels: "Ich habe in der Tat Dr. Otto Gross gut gekannt, und zwar habe ich ihn kennengelernt vor nunmehr 30 Jahren, 1906, als er in der Zürcher Klinik wegen Kokainismus und Morphinismus interniert war. Von eigentlicher Genialität kann man nicht reden, sondern eher von einer genialischen Instabilität, welche viele Menschen blendete. Er hat Psychoanalyse getrieben in den verruchtesten Kneipen. Gewöhnlich endeten die Übertragungsgeschichten mit einem unehelichen Kinde. Er litt an einem grauenhaften Mutterkomplex, welchen die Mutter ihm auch konsequent anerzogen hat. Er war von unendlichen Süchten geplagt, und fütterte diese vorzugsweise mit Alcaloiden, welche ihn zeitweise in einen sozusagen psychotischen Zustand versetzten. Da ich Gross nach 1906 nie mehr sah, kann ich über sein späteres Leben, das übrigens nur noch wenige Jahre dauerte, nichts Bestimmtes sagen. Jedenfalls hat er 1906 nicht an Gehörshalluzinationen gelitten. Er war in der Zürcher Klinik zwei Mal interniert, wo ich ihn beide Male hauptsächlich wegen Kokainismus behandelt habe. Er erfreute sich eines unbeschränkten Grössenwahns und war immer der Ansicht, dass er die Aerzte inklusive meiner selbst psychisch behandle. Er war schon damals sozial vollkommen verlottert. Er hat überhaupt nie irgendwelche systematische Arbeit geleistet, mit Ausnahme seiner Schrift über die Sekundärfunktionen, welche eine Theorie über die psychophysische Restitution der Reizfähigkeit enthält. Ich habe seine wesentliche Idee auch in mein Typenbuch aufgenommen. Sie ist an verschiedenen Orten, z.B. in Holland und Amerika gelegentlich von Psychologen wieder aufgenommen worden. Sie ist unzweifelhaft ein glücklicher Gedanke, der als allegorische Formel für gewisse Reaktionsabläufe entschieden verwendungsfähig ist. Sonstige Zeichen von Genialität habe ich keine beobachtet, wenn man nicht Gescheitschwätzerei und die Problemwälzerei als schöpferische Symptome ansieht. Er war sittlich und sozial völlig verlumpt und auch physisch infolge von Excessen dermassen heruntergekommen, dass er, wenn ich mich recht erinnere, noch vor dem Kriege einer Pneumonie erlag. So wenigstens bin ich berichtet worden. Er hat sich hauptsächlich mit Künstlern, Litteraten politischen Schwärmgeistern und Degeneraten jeglicher Beschreibung herumgetrieben und im Sumpfe von Ascona ärmlich-grausame Orgien gefeiert. Ich muss meine sehr negative Schilderung aber doch noch dahin ergänzen, dass in all dem ungesunden Wust, den er entwickelte, gelegentlich etwas wie Geistesblitze aufleuchteten, um derentwillen ich mich bei seinem Anstaltsaufenthalt um ihn bemüht habe, allerdings ohne den geringsten Erfolg.
Mit vorzüglicher Hochachtung, Ihr ergebener C.G. Jung." (Heuer: Jung's twin brother. Otto Gross and Carl Gustav Jung. The Journal of analytical psychology Vol. 46(4), S. 655-688. 2002. DOI: 10.1111/1465-5922.00272, www.researchgate.net/)

1911 ist Otto Gross erneut zur Behandlung in einer Klinik, in der Heilanstalt Casvegno in Mendrisio in der Schweiz, wo er versucht, die Lebenskrise, in die ihn der Selbstmord von Sophie Benz am 3. März geführt hat, zu bewältigen.

12. März 1911
Frieda Gross schreibt an Else Jaffé: "Das mit Sofie geht mir in sehr vielen Beziehungen sehr nahe. […] ... es steht […] fest, dass Otto seinen nächsten Freund verloren hat, den einzigen der ihn ganz liebte und dass ihm eine unsägliche unerhörte Einsamkeit bevorsteht." (Medford, MA: Tufts University Archive, MS008/001-001#047)

28. März 1911
Otto Gross wird von der Anstalt Casvegno in Mendrisio nach der Wiener Anstalt "Steinhof" überwiesen

7. April 1911
Sigmund Freud schreibt an C. G. Jung: "Otto Groß ist aufgetaucht. Er schreibt mir aus dem Sanatorium Steinhof bei Wien [wo er sich bis zum 21. Juni aufhielt] einen verehrungsvollen Brief und bittet mich dringend, möglichst bald eine beigelegte Arbeit drucken zu lassen. Diese, sehr unordentlich mit Bleistift hingeschmiert, heißt 'In eigener Sache. Über die sogenannte Bleuler-Jungsche Schule' und enthält zwei Anklagen, daß Bleuler ihm die Bezeichnung Dementia sejunctiva entwendet, um sie als Schizophrenie vorzubringen, und daß Ihr Aufsatz 'Die Bedeutung des Vaters usw.' aus den Mitteilungen stammt, die er Ihnen während seiner Analyse gemacht hat." (Freud/Jung, Briefwechsel, 1974, S. 457)

10. April 1911
Frieda Gross schreibt an Else Jaffé: "Er ist seit Sofies Tod kränker als er war, härter und liebloser." (Medford, MA: Tufts University Archive, MS008/001-001#048)

11. April 1911
Sigmund Freud schreibt an C. G. Jung: "Groß hat seinen Artikel 'In eigener Sache' wütend zurückverlangt und erhalten." (Freud/Jung, Briefwechsel, a.a.O., S. 458)

4. Juli 1911
Erich Mühsam in seinem Tagebuch: "München, Dienstag, d. 4. Juli 1911. [...] Ich war die meiste Zeit meines Züricher Aufenthalts mit Gross beisammen, und wir vertrugen uns sehr gut. [...] Sofie Benz' Tod frißt furchtbar an dem armen Menschen." (Mühsam, Tagebücher 1910-1924, München 1994, S. 41)

Das Jahr 1913 beschert Otto Gross weitere Klinikaufenthalte als Patient, diesmal nicht auf eigenen Wunsch und mit langanhaltenden Auswirkungen. Sein Vater, Prof. Dr. Hans Gross, bahnt diese an.

8. Februar 1913
Hans Gross schreibt an Alfred Anthony von Siegenfeld: "Ich muß Dich wieder um Hilfe bitten. Otto ist in Berlin, es geht schauerhaft zu; er braucht entsetzlich viel Geld, weil ein Gesindel von 'Freunden' ihm alles wegnimmt, fangt an Wechsel zu unterschreiben etc. Ich habe eine Menge Freunde in Berlin, Gerichts- u. Polizeileute, Psychiater etc. Alle schreiben die liebenswürdigsten Briefe, tun aber nichts. Offenbar trauen sie sich nicht, weil es sich um einen Ausländer handelt. Ich will Dich nun bitten, mir Jemanden beim Konsulat (oder etwa Botschaft?) zu nennen, an den ich mich wenden kann, wenn die Polizei etc. nichts tut. Meine Bitte an den Betreffenden wird wahrscheinlich dahin gehen, daß das Konsulat etc. Otto beobachten lässt (oder unter einem Vorwand vorladet etc.) u. dann beim hiesigen Bez.ger. anzeigt: 'Hier geht ein Oesterreicher herum, der offenbar unter Kuratel gehört - nehmt das zur Kenntnis.' Ich kann diese Anzeige aus leicht begreiflichen Gründen nicht machen." (Kocher, Otto Gross aus elterlicher und verwandtschaftlicher Sicht, in: Heuer (Hrsg.), Utopie und Eros, Marburg an der Lahn 2006, S. 207)

9. November 1913
"... mittags wurde der bedeutende Wissenschaftler Doktor Otto Groß in seiner Wilmersdorfer Wohnung (Berlin, Holsteinische Str. 19) von drei kräftigen Männern, die sich angeblich als Kriminalbeamte legitimiert haben sollen, besucht und bis zum Abend dort zwangsweise festgehalten." Gross wird aus dem preußischen Staatsgebiet ausgewiesen und in Görlitz nach Österreich überstellt. In Begleitung von Dr. Karl Birnbaum wird er nach Wien transportiert, wo ihn der Direktor der Landesirrenanstalt Klosterneuburg, Dr. Josef Berze, übernimmt und in die Landesirrenanstalt Tulln begleitet, in die er zwangseingewiesen wird.

13. November 1913
Hans Gross schreibt an Eugen Bleuler in Zürich: "... ob ich nicht entweder ein Attest der Anstalt Burghölzli oder einen Privatbrief bekommen könnte, woraus hervorgeht, daß nach den Beobachtungen von 1902 & 1908 eine Kuratel und Entmündigung meines Sohnes notwendig erscheint." (Steiermärkisches Landesarchiv Graz, BG Graz I P-IX 1/20)

21. November 1913
Eugen Bleuler antwortet Hans Gross, der wissen möchte, ob "Herr Dr. Otto Gross von Prag unter Curatel gestellt werden sollte oder nicht". "Wir können gar nicht begreifen, dass die Frage gestellt werden kann. Der Kranke hat doch sein ganzes Leben hindurch bewiesen, dass er viel zu abnorm ist, um sich selbst dirigieren zu können."

23. Dezember 1913
Gutachten der Psychiater Dres. Berze und Stelzer, Empfehlung, Gross wegen Wahnsinns unter Kuratel zu stellen

"Gutachten
Der Untersuchte bot schon in frühester Kindheit Zeichen einer schwer psychopathischen Konstitution. Seine geistige Entwicklung war einerseits auffällig überstürzt, so dass die Eltern eine Art Wunderkind vor sich zu haben glauben konnten, andererseits aber auch durchaus disharmonisch. Neben einer ungewöhnlichen einseitigen Begabung, die sich namentlich in einer grossen Aufnahmsfähigkeit, in einem vorzeitigen wissenschaftlichen Interesse und in einzelnen für sein Alter erstaunlichen Verstandesleistungen kundgab, zeigte er einerseits mehr oder weniger tiefgehende Mängel anderer Intelligenzqualitäten, andererseits schwere Störungen auf ethischem Gebiete, war unlenkbar, allen Vorstellungen seiner Eltern und Lehrer unzulänglich, zügellos haltlos, unstet, reizbar, heftig. Schon im frühsten Kindesalter traten bei ihm auch allerlei Schrullen auf, desgleichen litt er schon sehr früh an Störungen in der affektiven Sphäre; namentlich an motivlosen Depressionen, beklemmenden Angstzuständen und momentanen Verzweiflungsausbrüchen.

Um die Zeit der Pubertätsentwicklung trat zu den geschilderten Erscheinungen ein neuer Komplex von Symptomen hiezu. Der Untersuchte zeigte allerlei neue Exzentrizitäten, ein höchst exaltiertes, reizbares Wesen, hatte „unverständliche Ehrbegriffe" und verriet ab und zu einen gewissen Mangel an Urteil. Ganz besonders fielen aber in dieser Zeit typische Beziehungs- und Verfolgs-Wahnideen auf. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass in dieser Zeit, um das 17. Lebensjahr, die eigentliche Psychose des Untersuchten in Form eines gewissen geistigen Entwicklungsstillstandes eingesetzt hat. Zu dieser Zeit nahmen auch die Depressionen zu und steigerte sich die Unstetigkeit des Untersuchten zu einer ausgesprochenen Ruhelosigkeit.
Nach eigener Angabe im 20. Lebensjahre, wie aber aus den Angaben des Vaters hervorgeht, wahrscheinlich schon 2 bis 3 Jahre früher, begann der Untersuchte in der Absicht, seine Depressionen und sonstigen subjektiven Beschwerden zu lindern, zu verschiedenen Giften, namentlich Morphium, Opium, Kokain, zu greifen. Und seither liess er von diesen Giften nie mehr ab, stieg im Gegenteile immer mehr mit der Dosis, so dass er in den letzten Jahren ausserordentlich grosse Mengen, namentlich von Kokain und Opium, aber auch von anderen Nerven-Giften, konsumierte. Es entwickelte sich bei ihm eine wahre Kokain- und Opium-Sucht. Die deletäre psychische Wirkung des Giftmissbrauche machte sich beim Untersuchten, wenn auch, nach den anamnestischen Nachrichten zu urteilen, ab und zu auch gewisse Zeichen eines beginnenden Kokainwahnsinns (namentlich Halluzinationen auf verschiedenen Sinnesgebieten bei reizbarer, ängstlicher Verstimmung) hervorgetreten zu sein scheinen, doch vor allem in einer progressiven Abnahme der Intelligenz und Verschlechterung des Charakters geltend. Der Kranke verlor allmählich allen Halt, sank sozusagen von Stufe zu Stufe, so dass er, der durch seine ungewöhnlichen geistigen Anlagen und durch seine günstige soziale Stellung zunächst zu einer schönen Karriere bestimmt schien, schliesslich nur mehr an dem Verkehre mit depravierten Elementen ärgster Sorte Gefallen fand.
So setzt sich denn das Bild, das die pathologische Persönlichkeit des Untersuchten derzeit bietet, erstens aus Zügen der angeborenen Degeneration, zweitens aus Symptomen der Geisteskrankheit, welche im Pubertätsalter eingesetzt hat (Hebephrenie), drittens aus Erscheinungen des chronischen Kokainismus und der chronischen Opium-Sucht zusammen.
Es fällt an dem Untersuchten vor allem ein in vieler Hinsicht infantiles Wesen auf. Der Untersuchte macht, u. zw. schon äusserlich, nicht den Eindruck eines vollentwickelten Mannes, sondern einer in ihrer Entwicklung, etwa im Stadium der sogenannten Flegeljahre, stecken gebliebenen Person. Ab und zu, namentlich bei gehobener Stimmung, tritt zum einfach infantilen noch ein ausgesprochen läppischer Zug in Form einer geradezu albernen Heiterkeit hinzu.
Der Untersuchte weiss sich, bei anscheinend vollkommen erhaltener Besonnenheit, geordnet und zusammenhängend auszudrücken. Da ihm zudem ein guter Teil seiner Dialektik, die in früheren Zeiten (vgl. die Aeusserung des Profes. F. Hartmann) eine ausgezeichnete war, auch jetzt noch erhalten geblieben ist, da sich seine spontanen Ausführungen weiters immer auf hohe, recht fern abliegende psychologische Probleme, mit welchen sich der Untersuchte selbst seit vielen Jahren unablässig in seiner Art beschäftigt hat, beziehen und er nur schwer auf ein anderes Gebiet zu bringen ist, ruft er bei Personen, die ihm mangels entsprechender Sachkenntnis nicht kritisch zu folgen vermögen, auch derzeit noch den Eindruck einer über den Durchschnitt hinausgehenden Intelligenz und geistigen Leistungsfähigkeit hervor.
Bei näherer sachkundiger Betrachtung bleibt aber von diesem Eindruck nichts übrig. Es zeigt sich vor allem, dass die zunächst durch ihren ungewöhnlichen Inhalt überraschenden Gedankengänge des Untersuchten geradezu stereotyp sind. Seit gut 4 bis 5 Jahren sind es dieselben Ideen, welche der Untersuchte mit geringen Variationen immer wieder hervorbringt. Ueber ihren engen Kreis hinaus hat der Untersuchte, abgesehen von vorübergehenden, durch äussere Einflüsse angeregten Intentionen, kein eigentliches geistiges Interesse. Es muss also, im Gegensatze zum ersten Eindruck, von einer ziemlich weitgehenden Einschränkung des geistigen Horizontes gesprochen werden. Weiteres aber verraten auch schon die vom Untersuchten spontan vorgebrachten Aeusserungen recht bedeutende Defekte der Urteilsbildung. Kritiklos reiht der Untersuchte Behauptung an Behauptung. Jeder Gedanke, der sich ihm ergibt, und mag er noch so verschroben und absurd sein, hat für ihn von vornerherein Geltungswert, und umsomehr, je lapidarer er sich ausnimmt. Auf den Ausdruck kommt es ihm vor allem andern an. Dabei legt er u.a. besonderen Wert auf den Rhythmus. Nur das rhythmisch Ausdrückbare kann, wie er gelegentlich erklärt, als richtig angesehen werden; nur Jamben und Anapäste seien 'richtig', alle anderen Versfüsse, namentlich aber Trochäen und Daktylen, 'falsch'. Er bemüht sich daher, nach eigener Angabe oft stundenlang, einen Ausdruck mit dem richtigen Rhythmus zu finden. — Ganz besonders fällt aber an dem Untersuchten in intellektueller Hinsicht der fast absolute Mangel an praktischem Verstand auf. Er findet sich in den einfachsten Fragen des Lebens nicht zurecht, denkt über Geld und Besitz überhaupt wie ein unerfahrenes Kind, hat es nie zu einer halbwegs geordneten Lebensführung gebracht und ist dazu derzeit erst recht unfähig. Auch geht ihm jede Menschen-Kenntnis ab. Geisteskranke mit ausgesprochenem Intelligenzdefekt, wie z. B. die S. Benz, werden von ihm unter Umständen geradezu für genial, Parasiten, wie seine 'Freunde' in Berlin, München, u.s.w., die sich in schamloser Weise von ihm, d. i. auf Kosten seines Vaters, erhalten liessen, für Edelmenschen und wahre Aristokraten gehalten. Wer ihm widerspricht, hat dagegen bei ihm verspielt.
Von der schwerwiegensten Bedeutung ist der moralische Defekt des Untersuchten. Die hervorstechendste Erscheinung auf diesem Gebiete ist eine völlige Hemmungslosigkeit. Gesetze, soziale Ordnung, moralische Begriffe, alles, was Autorität heisst, gilt für ihn nicht. Nur seine eigenen Gedanken, Neigungen, Wünsche, Triebe sind ihm massgebend. Sein Vater ist nur dazu da, ihn zu erhalten, ihm immer wieder Geld zu schicken; im übrigen aber hasst er ihn, da er in ihm die Personifikation der 'Autorität' sieht. Eigenherrlich entscheidet er, dass der Arzt das Recht habe, unheilbare Kranke aus dem Leben zu schaffen; da ihn aber Gesetze „nichts angehen", da sie seiner Meinung nach 'einfach weggehören', scheut er sich auch nicht, von der Theorie zur Praxis überzugehen. Mit einer gewissen S. B., deren Geisteskrankheit so offenkundig war, dass sie jeder Anfänger in der Psychiatrie sofort erkennen musste, lebt er durch viele Monate in intimsten Verhältnisse[n]. Er ermöglicht ihr, indem er die Gifte, die er selbst nimmt, vor ihr nicht verwahrt, den Selbstmord. Nicht genug an dem, er meint, es wäre seine Pflicht gewesen, sie zu vergiften und ihr so den Entschluss zum Selbstmord zu ersparen. In einem anderen Falle (Kattemer) scheint er in der Tat eine mehr aktive Rolle gespielt zu haben.
Zweifellos ist diese moralische Hemmungslosigkeit beim Untersuchten vor allem schon in seinem angeborenen ethischen Defekte, bzw. in der mangelhaften Ausbildung seiner ethischen Begriffe, begründet. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, dass in der ganzen Erscheinung seines moralischen Defektes sozusagen Methode liegt. Diese letztere Tatsache erklärt sich daraus, dass der Untersuchte unter dem dominierenden Einflusse überwertiger Ideen steht, welche ungefähr nach Art des bekannten Max Stirner'schen philosophischen Radikalismus (völlige Negation von Staat, Religion und Sitte, Betonung des krassesten Egoismus) und der Nietzsche'schen Ideen (möglichst vollständige Befriedigung der Instinkte und Erfüllung des Willens zur Macht als Ideal) gehalten, als der Moral direkt entgegengesetzte Leitideen, als antimoralische Faktoren, zu wirken geeignet sind.
Die eben erwähnten überwertigen Ideen antimoralischem Inhaltes gleichen freilich ihrer Genese nach gewöhnlichen Wahnideen nicht ganz, sind solchen aber, was ihre Rolle im Geistesleben, namentlich bei einem psychisch Entarteten nach Art des Untersuchten, betrifft, vollkommen gleichzuhalten. Der Kern des Systems, welches diese wahnhaften Ideen des Untersuchten bilden, ist folgender: Der Untersuchte leidet — nach eigener, wahrscheinlich aber irriger, Angabe schon seit früher Kindheit, in Wirklichkeit aber erst seit der oben erwähnten psychischen Erkrankung im Pubertätsalter — an, wie er sagt, 'unterdrückter Produktivität', d. h. an einer krankhaften Hemmung der geistigen Tätigkeit. Sich diese Störung einfach als eine Folge einer psychischen Krankheit vorzustellen, ist der Untersuchte nun bei seiner ganzen psychischen Veranlagung unfähig; dagegen liegt es ihm, wie allen Kranken seiner Art, nahe, ihren Grund in widrigen äusseren Einflüssen zu suchen. Er fasst alle diese störenden äusseren Einflüsse unter dem Schlagwort 'Autorität' zusammen; dadurch, dass die Autorität dem 'untilgbar expansiven Willen zu sich selbst, zu seinen angeborenen Posituren, Qualitäten', wie er sich gelegentlich ausdrückt, entgegenwirke, entstehe in der Persönlichkeit ein Konflikt, der „zerreissendste aller Konflikte", durch den die schöpferische Arbeitskraft lahmgelegt werde. Den schlagendsten Beweis für die Richtigkeit seiner Anschauung sieht er darin, dass er schon im Alter von 4 Jahren schwer unter der 'Autorität' des Vaters und unter der 'Sexualität' der Eltern — der Mann „vergewaltige" die Frau im sexuellen Akt, bringe dabei also seine „Autorität" in der brutalsten Weise zur Geltung — masslos gelitten habe, worauf seine damaligen Angstzustände zurückzuführen gewesen seien. (Offenbar handelt es da um Erinnerungs-Täuschungen, welche unter dem Einfluss der Idee vom „Konflikt" entstanden sind). Die „Autorität" schädige nun in der Weise, wie es bei ihm der Fall sei, nicht etwa den Durchschnittsmenschen — dieser stelle ja der Autorität keine eigene Persönlichkeit gegenüber —, sondern nur Menschen, die von Haus aus eine besonders starke, sich gegen die „Entselbstung" wehrende primäre Persönlichkeit besitzen, d.h. die wahren Aristokraten des Geistes(!). Da die „Autorität" also die schönste Blüte der Menschheit in ihrer Entwicklung hemme, müsse sie von der Welt verschwinden, und zwar in jeder Form; daher sei er Anarchist.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass das ganze System, geradeso wie es bei den gewöhnlichen Wahnsystemen der Fall ist, auf die eigene Person zugeschnitten ist. Deutlich ist auch zu erkennen, wie die ganze Konstruktion in die Bildung ausgesprochener Grössenideen ausläuft. In letzterer Hinsicht äussert er sich übrigens gelegentlich auch deutlicher: Durch den Sündenfall sei die Menschheit unter den Druck der „Autorität" geraten und leide seither darunter. Erst in der letzten Zeit hätten 3 Männer Arbeit geleistet, durch welche die Befreiung der Menschheit von dem Joche der „Autorität" vorbereitet worden sei, nämlich Nietzsche, Wernicke, Freud. Ihm selbst aber sei es vorbehalten geblieben, das Erlösungswerk zu Ende zu führen, indem er dem Anarchismus auf Grund seiner Selbstanalyse die richtige Basis gegeben habe.
Auch auf affektivem Gebiete sind Störungen zu konstatieren. Der Kranke selbst hebt mit Recht seine schwere Affektlabilität hervor. Ausserdem aber fallen starke Stimmungsschwankungen auf. Für gewöhnlich herrscht wohl eine mittlere Stimmungslage vor; aber diese mittlere Lage hat nicht die geringste Stabilität. In rascher Folge kann der Kranke bald tiefste Niederge­schlagenheit, bald albern ausgelassene Freude zeigen. In depressiver Stimmung wird er manchmal ganz kleinmütig, fragt ängstlich, ob er nicht doch an einer Geistesschwäche leide, erklärt, dass sein Schädel zu klein, seine Schädeldecke zu dick sei, offenbar also auch sein Gehirn zu klein sein müsse, dass er in der Jugend viele Schädeltraumen erlitten und daher wohl geisteskrank sein oder werden dürfte, u.s.w. Bei gehobener Stimmung ist er dagegen äusserst zuversichtlich, trägt grosse Selbstüberschätzung zur Schau, erklärt, dass seinen Werken nur ein einziges Buch zur Seite gestellt werden dürfe, nämlich das Buch der Bücher, die Bibel, hat grosses Kraftbewusstsein, will mit den Pflegern raufen, ringen, ihnen zeigen, dass er ihnen an Kraft und Geschicklichkeit überlegen sei. Auch jetzt scheint er ferner ab und zu an schweren Angstzuständen zu leiden. Namentlich überkomme ihn die Angst, wenn er allein sei, und wenn etwa noch dazu das Zimmer verdunkelt sei; dann fühle er sich im Grabe liegen — neben der toten Benz und habe dabei „alle Verwesungsgefühle".
Bei manchen Gelegenheiten reagiert der Untersuchte in einer Weise, welche zunächst die Vermutung naheliegend erscheinen lässt, dass gesteigertes Misstrauen einen Grundzug seines Charakters bilde. Es zeigt sich aber bei näherer Betrachtung, dass dieses Misstrauen nur ein umschriebenes ist, dass es sich nur gegen solche Personen kehrt, die ihm die 'Autorität' repräsentieren, vor allem also wieder gegen seinen Vater, der ihm eben — es ist dies zweifellos auf sein Zurückgebliebensein auf einer früheren Entwicklungsstufe zurückzuführen — als der ausgesprochenste Repräsentant, als die wahre Personifikation der Autorität erscheint, dass es also sozusagen wieder ein Ausfluss seiner ihm durch seine überwertigen Ideen diktierten Abwehrstellung gegen Sitte und Ordnung ist. Personen gegenüber, die er nicht für der 'Autorität' verdächtig hält, ist der Untersuchte im Gegenteile von einer geradezu kindischen Vertrauensseligkeit und Offenheit, und mit Leuten, die sich ihm als Schiffbrüchige des Lebens, als Opfer der jetzigen gesellschaftlichen Ordnung, der 'Autorität', dazustellen vermögen, fühlt er sich von vorneherein solidarisch, mag es sich nun um Kranke und Bettler oder um Gesindel niedrigster Art und ausgemachte Verbrecher handeln.
Was die Willensphäre betrifft, so ist beim Untersuchten eine gewisse Willensschwäche unverkennbar. Der Kranke selbst ist sich dieses Defektes bewusst; er spricht u. a. davon, dass ihm der Tod der Benz — die wahren Ursachen seiner Willensschwäche vermag er nicht zu erkennen — 'den letzten Teil der Willenskraft gebrochen hat'. Die Willensschwäche zeigt sich bei ihm vor allem darin, dass er seinen Einfällen in der Regel widerstandslos unterliegt; Grundsätze, Erfahrung, Ziele, Vorsätze, kurz alle die Leitideen, welche den eigenen Willen des Individuums ausmachen, versagen seinen Einfällen gegenüber meist völlig. — Ferner darin, dass er allen äusseren Einflüssen, soferne sie nicht von Personen ausgehen, denen gegenüber er sich in der mehr erwähnten wahnhaft begründeten Abwehrstellung befindet, förmlich blind Folge leistet. Sicher wäre aber die Willensstörung des Untersuchten nicht erschöpfend charakterisiert, wenn man sie einfach als Willensschwäche hinstellte. Daraus, dass der Untersuchte, während er gewissen Personen fast willenlos preisgegeben ist, den Intentionen anderer wieder einen starren, geradezu negativistischen, Widerstand entgegenzustellen vermag, geht vielmehr deutlich hervor, dass es sich bei ihm ausser um Willensschwäche auch noch um eine pathologisch abnorme Einstellung (Richtung) des Willens handelt, die, wie aus allem bisher Gesagten hervorgeht, wieder durch die dominierende Wirkung seiner oben dargestellten wahnhaft überwertigen Ideen bedingt ist. Durch diese pathologische Einstellung des Willens ist der Untersuchte noch mehr als durch seine Willensschwäche um die Fähigkeit der Willensbestimmung gebracht; macht ihn die Willensschwäche an sich schon zum Spielball seiner Einfälle und zum Werkzeug der Leute, die er als seine Freunde ansieht, so zwingt ihn die pathologische Einstellung seines Willens geradezu zu Handlungen, die der Moral und dem Gesetze zuwiderlaufen und ihn als eine zweifellos in nicht geringem Masse gemeingefährliche Person erscheinen lassen, und zu einer Lebensführung, die ihn selbst in jeder Hinsicht tief schädigen muss.
Die Gefertigten erklären sohin, dass der Untersuchte, Herr Dr. Otto Gross, an einer Geistesstörung, welche als Wahnsinn im Sinne des Gesetzes aufzufassen ist, leidet und daher nicht im Stande ist, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen.

Am 23. Dezember 1913.
Dr. Berze
Direktor der n. ö. Landesirrenanstalt Klosterneuburg, Privatdozent an der k.k. Universität Wien.
Dr. Stelzer
ordinierender Arzt der Landesirrenanstalt Klosterneuburg, Sachverständiger für Psychiatrie beim k.k. Landesgerichte für Strafsachen, Wien.
Einverstanden: Richter [unleserlich]"
(Berze & Stelzer: Befund und Gutachten über den Geisteszustand des am 15. Dezember 1913 über Auftrag des k.k. Bezirksgerichtes Tulln untersuchten Dr. Otto Gross (geboren 1877, zustaendig nach Cernowitz, katholisch, verh. derzeit im Sanatorium Dr. Bonvicini, in: Gegner 1999/2000, H. 3, S. 24-36)

9. Januar 1914
Kuratel wegen Wahnsinns, Verlegung in die Landesirrenanstalt Troppau in Oberschlesien.

30. Januar 1914
Max Weber schreibt aus Heidelberg an den Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Otto Pellech in Wien: "Dr,Groß bemerkt :ferner: in jener Mitteilung, er sehe nun einer sechsmonatlichen Beobachtung in einer geschlossenen Anstalt entgegen und er habe beantragt, ihn in die Anstalt in Czernowitz bringen zu lassen, damit er ganz objektiv und nicht nach den temporären, eine Krankheit vortäuschenden Kokainabstinenzerscheinungen beurteilt werde." (Weber, Briefe 1913-1914, Tübingen 2003, S. 491)

8. Juli 1914
Entlassung aus der Landesirrenanstalt Troppau als geheilt, danach Nachbehandlung und Analyse bei Wilhelm Stekel in Bad Ischl

4. August 1914
Hans Gross teilt dem Bezirksgericht Graz mit, dass sich Otto Gross im Sanatorium Dr. Wiesner in Bad Ischl aufhält und dort von "Dr. Stekel aus Wien" behandelt wird. Er macht darauf aufmerksam, dass sich Otto Gross bereits auf der Reise von Troppau nach Bad Ischl Codein besorgt und eingenommen hat und außerdem wieder in brieflichen Kontakt mit Franz Jung steht. Er spricht sich für eine längere Zeit andauernde Erprobung (des gegebenen Zustands) aus und die spätere neuerliche Untersuchung durch zwei Gerichtsärzte. Einer von beiden solle der Privatdozent Dr. Josef Berze, der Leiter der Landesirrenanstalt Klosterneuburg bei Wien, sein, der Otto Gross seit langem kenne und bereits behandelt habe (Steiermärkisches Landesarchiv Graz, BG Graz I P-IX 1/20)

10. Oktober 1914
Hans Gross schreibt an Alfred von Siegenfeld: "Otto wurde in Troppau angeblich 'geheilt' entlassen & kam über seinen Wunsch in die Behandlung eines Dr. Stekel, der im Sommer in J... (?) im Winter in Wien ist" (Kocher, Otto Gross aus elterlicher und verwandtschaftlicher Sicht, in: Heuer (Hrsg.), Utopie und Eros, Marburg an der Lahn 2006, S. 208).

Wilhelm Stekel verarbeitet die Behandlung von Gross pseudonymisiert 1925 in Kapitel XIV "Die Tragödie des Analytikers" der Schrift "Sadismus und Masochismus":
Titelblatt Stekel, Sadismus und Masochismus"Fall Nr. 37. Es handelt sich um den vierzigjährigen Analytiker M.K. der eine sonderbare antimasochistische Einstellung hat. Er kämpft in Wort und Schrift, auch in Vereinen und durch persönliche Propaganda für das Recht der Frau. Was er nicht verträgt, ist eine masochistische Einstellung der Frau.
Er könnte einen solchen Mann ermorden, der seine Frau sadistisch behandelt. Er versteht es aber sehr gut, wie man sich zu einer Frau masochistisch einstellen kann, ja betrachtet diese Einstellung als die wünschenswerte. Dieser Grundgedanke beherrscht sein ganzes Denken. Er ist ein Vorkämpfer des Mutterrechts, glaubt, daß sich alle sozialen Fragen mühelos durch Einführung des Mutterrechts lösen lassen würden. Seine Bücher, meistens gigantische, in der Theorie steckengebliebene Entwürfe, behandeln oft den Triumph und die endgültige Befreiung der Frau. Für eine beleidigte Frau könnte er sich sofort duellieren, obgleich er ein Gegner des Duells ist und sonst anarchistischen Ideen huldigt. Er verlangt Freiheit in jeder Form. Aber nicht für alle Menschen und nur eine individuelle Freiheit. So hat er einen unauslöschlichen Haß gegen alle Homosexuellen, insoferne sie Päderasten sind. Wäre er König, er würde sie alle einsperren, verbrennen, vernichten. Also eine sonderbare Form der Freiheit, die nur Menschen gelten läßt, die in sein System passen. Homosexuelle sind ihm ein Greuel, weil sie die Frau verachten und überflüssig machen.
Schon diese merkwürdig affektative Einstellung zum homosexuellen Manne verrät eine stark verdrängte eigene Homosexualität und fordert uns auf, die Beziehungen seines Frauenkultus zur Homosexualität zu untersuchen." [...] "Er stammt von vollkommen gesunden Eltern und ist in keiner Weise hereditär belastet." [...] "Beide Eltern stehen geistig und ethisch sehr hoch und widmeten ihre ganze Kraft der Erziehung des einzigen Kindes. Dieses zeigte schon sehr früh einen ausgesprochenen eigenen Willen, der die Erziehung außerordentlich erschwerte. Sein krasser Egoismus äußerte sich in der Weise, daß er als Kind nichts teilen konnte, auch nicht die Liebe. Er wollte jeden für sich allein haben: Den Vater, die Mutter und auch die Großmutter. Mit jeder einzelnen dieser Personen war er sehr glücklich und lieb, zärtlich und anschmiegend, wenn er mit ihnen allein war. Er vertrug aber nicht, daß man sich in seiner Gesellschaft nicht mit ihm beschäftigte. Leider lernte er die Eifersucht auch unter seinen Erziehern kennen und in der unangenehmsten Form. Mutter und Froßmutter waren aufeinander eifersüchtig und die Frage: Wen liebst du mehr? - - wurde mehr als einmal gestellt.
Es mußte sich in der Seele des Kindes eine Einstellung gegen die Eifersucht aus zwei Gründen entwickeln. Einmal, weil die unangenehmen Kämpfe um seine Liebe ihn fortwährend in Konflikte brachten. Andererseits aber weil er selbst ungeheuer eifersüchtig war und der Wunsch des Alleinbesitzens alle seine kriminellen (sadistischen) Triebe anstachelte. Die Überwindung der infantilen Kriminalität bedeutete für ihn daher die Überwindung der Eifersucht. Die Eifersucht war das zentrale Problem seiner Jugend.
Eine starke homosexuelle Einstellung zum Vater brachte ihn früh in eine Trotzeinstellung, welche ihn dazu führte, sich vom Vater vollkommen zu differenzieren und sich eine Weltanschauung zu bauen, welche der des Vaters entgegengesetzt war. Er hatte also zwei entgegengesetzte Ideale: Das eine der Identifizierung mit dem Vater, welche der Liebe zum Vater entsprang (unbewußtes Lebensziel) und das andere die Differenzierung zum Vater (bewußtes Lebensziel). Die Leitlinie der Differenzierung lag ohne Kenntnis ihres Ursprunges offen zutage, während die andere heimlich verborgen war. Da ein Teil der Kräfte sich auf der bewußten, ein anderer Teil der Energien auf der unbewußten Ebene gruppierten, mußte es zu Spaltungen des Ich kommen, welche die Grundlage jeder Parapathie bilden und in weiterer Folge auch zur Schizophrenie führen können. Die polare Spannung zwischen Identifizierung und Differenzierung drückte die Größe seines 'inneren Konfliktes' aus.
Mit bemerkenswerter Energie wurde lange der Weg der heterosexuellen Betätigung nicht betreten. Die autoerotische Betätigung blieb die einzige bis zum dreißigsten Lebensjahre. Die Dirne war dem geistig hochstehenden Manne ein Ekel, während seine Überschätzung der Frau ihn davor bewahrte, seine Befriedigung in leicht geknüpften und leicht aufgegebenen Verhältnissen zu suchen. Die erste Frau, ein Mädchen, eroberte ihn mühelos nur dadurch, daß sie die Aggression auf ihn ausführte. Er repräsentiert den bekannten Typus der Männer, die nur dann potent sind, wenn die Frauen ihnen an das Genitale greifen." [...] "Er wurde also erobert und ließ sich leicht erobern. Aber seine geheime Moralität, welche seinen  bewußten anarchistischen Anschauungen, den vom Vater differenzierten Ideen, direkt widersprach, ließ ihn sofort alle Konsequenzen ziehen. Er trug diesem Mädchen seine Hand an und heiratete es. Aber vorher schloß er mit ihr einen Pakt, der ihm heilig war und der seiner ganzen Weltanschauung entsprach.
Sie sollten eine Ehe ohne Eifersucht führen. Wenn einem eine andere Person gefiel, so sollte er sie besitzen dürfen. Das dürfte kein Grund für gegenseitige Vorwürfe sein.
Dieser Vertrag sollte ein Zeichen ihrer fortschrittlichen, freien Weltanschauung sein. In Wahrheit diente er dazu, die Eifersucht aus der Ehe auszuschalten. Es war die geheime Erkenntnis, daß er durch die Eifersucht 'furchtbar' werden könnte. Davor wollte er sich in erster Linie schützen. Dieser Pakt war eine Versicherung gegen seine Kriminalität. Eine andere Motivierung war dem Kranken ebenso unbewußt wie die erste: Auf diese Weise konnte er seine homosexuellen Triebe befriedigen.
Der Geliebte seiner Frau war dann gewissermaßen sein Geliebter. Denn in der Folge duldete er nur solche Männer als Liebhaber seiner Frau, die ihm selbst gefielen, duldete sie nur, wenn er davon Kenntnis hatte. Er mußte im Geiste mitgenießen, um verzeihen zu können.
Eskapaden seiner Frau, die er erst nachträglich erfuhr, nahm er sehr ungnädig auf, und betrachtete sie als wirkliche Untreue und Bruch des gegenseitigen Vertrauens.
Da dieser Kranke zwei Dinge zu verdrängen hatte, seine Kriminalität und seine Homosexualität, so ist es kein Wunder, dass er Morphinist wurde. Morphium und Alkohol sind Lethe für die Unglücklichen und ermöglichen ihnen das Leben. Er sparte nicht mit dem Morphium und war nur lebensfähig, wenn er große Dosen Morphium zu sich nahm. Sonst wurde er von Angstzuständen peinlichster Art gefoltert.“ [...] "Er fürchtete seinen ursprünglichen sadistischen Einstellungen zu erliegen, wenn er nicht durch Morphium in seiner Aggressivität gehemmt war und sich nicht seinen Phantasien ergeben konnte, die wie Phantasien der Opiumraucher und Haschischesser die Armut des Lebens durch eine märchenhafte Überschwenglichkeit der Phantasiewelt ersetzen." [...]
"
M. K. musste immer mehr Morphium nehmen. Er war innerlich unglücklich über die Treulosigkeiten seiner Frau und seiner Geliebten. Er wollte ja der Einzige sein! Sein grenzenloser Narzißmus verlangte eine beständige Bewunderung seines Genies, eine Bewunderung, die seine Frau nicht aufbrachte.“ [...] 
"Er verdarb seine Frauen nicht nur seelisch, indem er sie zur Untreue und zur Polygamie zwang, er machte sie zu Narkotomanen. Er ruhte nicht eher, bis nicht seine Geliebten auch zum Morphium oder zum Opium, das er in letzter Zeit bevorzugte, griffen.
Je mehr er sich in diese gefährlichen Verhältnisse verstrickte, die so viel Selbstheuchelei und Verdrängung erforderten, desto größer wurde sein Bedürfnis nach dem süßen Gifte, das ihn in einen Rausch versetze, in dem er vergessen konnte.
Was hatte er zu vergessen? Es ist klar, daß er selbst diese schwere Belastungsprobe seines Gewissens und seines Narzißmus nicht ertragen konnte.
Denn hinter seiner scheinbaren Eifersuchtslosigkeit verbarg sich eine pathologische Eifersucht mit der infantilen Formel: alle geliebten Pesonen für sich allen zu haben. Er hatte es verstanden, seine Schmerzen in Lust zu verwandeln, was ja das Zeichen eines echten Masochismus darstellt. Dagegen war sein ganzes System bestimmt, mit raffinierter Grausamkeit seine Eltern zu quälen. Hier konnte sich sein schrankenloser Sadismus austoben und er fand an ihnen Objekte, die ihm wehrlos preisgegeben waren.“ 
[...] 
"Alle Sado-Masochisten sind elternkrank!“ [...] 
"Seine Parapathie ist der nach innen gekehrte Anarchismus, ist der gegen das eigene Ich gekehrte Sadismus, der dann ein Bild des Masochismus liefert." [...] 
"Es sind alles Abspaltungen seiner Psyche, Personifikationen der verschiedenen Teilbestrebungen seiner Psyche. Er ist ein ausgesprochenes Kind. Viele seiner parapathischen Züge sind nur Infantilismus. Dieser Infantilismus ist durch den Buben personifiziert. Es geht aus dem Traume des hartnäckige Festhalten an infantilen Einstellungen hervor. Der Traum besagt: das Kind in mir wird zuerst mit mir sterben!“ 
[...]
"Denn er war im Grunde seiner Seele abnorm (man kannn sagen pathologisch) eifersüchtig." [...]
"Allein seine feindselige Einstellung gegen den Vater ist nicht der Ausfluss seiner kriminellen Natur und seine Empörung gegen die Autorität. Es liegt vielmehr darin. Es liegt der mörderische Trotz des unglücklich Liebenden seiner Vatermörderattitüde zugrunde. Er fühlt sich abgewiesen und verschmäht.“ [...]
"Um es gleich herauszusagen: Unser Patient ist seinem Vater gegenüber homosexuell eingestellt. Er erwartete immer vom Vater die sexuelle Aggression, die allein ihn befriedigt hätte.“ [...]
"Nun verrät uns ein Traum, was er vom Vater erwartet und zeigt uns neue Wege der Erkenntnis seiner sadistischen Einstellung. Er träumt einmal:
Ich spreche mit meinem Vater und bin über ihn sehr böse. Wir haben eine große Meinungsverschiedenheit und ich bemühe mich, ihn zu meiner Ansicht zu bekehren. Da greift mir der Vater an das Genitale. Ich fühle einen unendlich starken Orgasmus und merke, daß ich ganz wehrlos bin." [...]
"Damit zerbrach sein Leben. Er steigerte seine Schutzmaßregeln, er verstärkte die Umkehrungen, er kam hart an die Grenze der Paralogie, so daß er wegen "Dementia praecox“ in eine Irrenanstalt kam, woselbst er zwei Jahre interniert war.“ [...]
"Sein Sohn war ihm seit einer kleinen Szene verhasst, oder sagen wir lieber unerträglich geworden. Der kleine fünfjährige Junge kam im Hemd ins Zimmer, drehte sich zu seinem Vater, lachte verschmitzt und zeigte ihm den entblößten Podex. Ein anderer Vater hätte über diese kindliche Naivität gelacht. Er aber faßte die Sache ernst auf, wurde sofort von einem unerträglichen Ekel befallen. Von diesem Momente hatte er ein geheimes Grauen vor dem Kinde und konnte nie mehr mit ihm zärtlich sein. Er sah in dem Kinde ein Spiegelbild seiner infantilen Einstellung. Es zeigt ihm jene erogene Zone, von deren Vorhandensein er sein ganzen Leben nichts wissen wollte, die er mit allen vorhandenen Affekten der Ablehnung belegt hatte.“ [...] 
"Sein ganzes Denken war jetzt nur von einer Kraft beherrscht: Meine ursprüngliche Anlage darf nie wieder zum Vorschein kommen! Ich darf mich aller Welt, nur nicht meinen Eltern unterwerfen!“ [...]
"Er wurde ein Morphinist ... mit einer merkwürdigen Rationalisierung: Er brauchte das Morphium, um gut zu bleiben. Im Morphiumrausch konnte er das gute Kind sein, konnte seine Eltern denken, konnte das namenlose Elend vergessen, das er über sich und seine Familie gebracht hatte. Immer wieder rief ihm eine innere Stimme zu: Du bist ein Verbrecher an dir selbst und den deinen. Diese Stimme schrie und schrie ohne Unterlass. Sie ließ ihn nicht schlafen, sie ließ ihn nicht arbeiten, sie ließ keine Lebensfreude in ihm aufkommen. Diese Stimme musste betäubt werden, koste es was es wolle. So begann er sein unheimliches Zerstörungswerk, das ihn bis hart an die Grenze des Wahnsinns und hinter die Türen der geschlossenen Anstalten brachte.“ [...] 
"Die Rigidität der seelischen Plastik ließ den Verdacht erwecken, er könnte sich um eine "Dementia praecox" handeln. Dieser von vielen Psychiatern ausgesprochene Verdacht erwies sich als ungerechtfertigt. Es handelte sich um eine schwere Parapathie, die allerdings die Lebensmöglichkeit des Erkrankten fast ebenso behinderte wie eine Paralogie.“ [...] 
"Die ersten oberflächlichen Analysen wurden sein Verderben. Sie stürzten ihn lediglich noch tiefer in die Schluchten des Unbewußten, weil er als ein Meister der Verstellung nicht nur sich selbst, sondern auch alle seine Ärzte und ersten Analytiker zu täuschen wußte. Die polare Spannung zwischen seinen bewussten und seinen unbewussten Tendenzen war zu groß, als dass er sie auf die Dauer hätte ertragen können. Wahnsinn wäre für ihn eine Erlösung gewesen. Doch der scharfe Intellekt hielt Wache und verhinderte die vollkommene Introversion. So stand er zwischen Paralogie und Parapathie, unfähig sich ganz zu extrovertieren und ebenso unfähig zu einer restlosen Introversion.“
(Stekel: Die Tragödie des Analytikers, in: Stekel: Sadismus und Masochismus. Störungen des Trieb- und Affektlebens (Die parapathischen Erkrankungen). Bd. VIII. Berlin und Wien 1925, S. 484-511)

1916
Am 25. April erneute Begutachtung, Empfehlung, die Kuratel wegen Wahnsinns in beschränkte Kuratel wegen Verschwendung umzuwandeln

"Diese hier charakterisierte Veranlagung des Expl. ist an und für sich kein Wahnsinn, auch kein Schwachsinn, bezw. Blödsinn. Doch können auf dem Boden dieser Veranlagung ... Zustände von Störung des psychischen Gleichgewichtes erwachsen, die, wie der Zustand, den er während seines Anstaltsaufenthaltes in Tulln geboten hat, als Wahnsinn zu bezeichnen wäre[n]." (Hurwitz, Otto Gross’ "Schizophrenie", Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, Bd. 152, H. 1, 2001, S. 41)

Und in einem Zusatz heisst es: "...Was ihren Auftrag auf Aufhebung der Curatel des Expl. wegen Wahnsinns und Umwandlung derselben in eine finanzielle Curatel ... betrifft, so bemerken die Gefertigten, dass sie bei diesem Antrage der ... Anregung des Vaters des Expl., des Professors Hans Gross, gefolgt sind, wobei sie in der Autorität desselben als Jurist die Gewähr für die richtige Auslegung des citierten § erblicken zu können glaubten ..." (Hurwitz, Otto Gross’ "Schizophrenie", Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, Bd. 152, H. 1, 2001, S. 41)

1917
Umwandlung der Kuratel in eine beschränkte finanzielle Kuratel. Im Mai erneute Einweisung in die Wiener Anstalt "Am Steinhof“, von dort nach einer Woche als "geheilt und bürgerlich erwerbsfähig“ entlassen, weiterhin "dienst- und landsturmuntauglich“. Im September Aufhebung der Kuratel, schließlich Umwandlung in eine beschränkte Kuratel wegen Verschwendung und gewohnheitsmäßigem Gebrauch von Nervengiften

Schlussfolgerung
"Otto Gross litt offenbar seit der Jugend, mindestens seit dem 15. oder 16. Lebensjahr an schweren depressiven Verstimmungen, Angstzuständen und psychischen Instabilitäten. Diese konnten trotz diverser eigener und ärztlicher Bemühungen nicht entscheidend beeinflusst werden, sondern scheinen sich vielmehr im Verlauf seines Lebens noch weiter ausgeprägt zu haben. Erleichterung in verlässlicher Form schienen ihm lediglich die starken psychoaktiven Substanzen, Opiate und Kokain, gebracht zu haben.

Die damals gestellten und widersprüchlich imponierenden Diagnosen erscheinen aus heutiger Sicht zwar inadäquat, aber doch durch die damals fehlenden diagnostischen und ätiologischen Modelle für diese Art von Störungen nachvollziehbar.
Aus heutiger Sicht dürften diese Störungen und Symptome am ehesten im Sinne eine durch die hochproblematische kindliche Beziehungssozialisierung zustande gekommene defizitäre Entwicklung der Ich-Struktur im Sinne einer Fixierung der psychischen Entwicklung auf Borderline-Strukturniveau anzusprechen sein. Bei der Genese dieser Störungsbilder spielen nach neuerer Auffassung wiederholte traumatisierende psychische Ereignisse und Beziehungsambivalenzen eine wesentliche Rolle. Auch die Kompensation der resultierenden psychischen Missbefindlichkeiten (insbesondere auch der psychischen Instabilitäten) mit Hilfe von psychoaktiven Substanzen könnte als typisch für das Vorliegen dieses Syndroms gelten. Auch lassen sich, an diversen, an dieser Stelle nicht im Einzelnen aufführbaren biographischen und autobiographischen Dokumenten ganz eindeutig Symptome einer heute als posttraumatische Belastungsstörung angesprochenen Störung nachweisen.
Dagegen lässt sich das Vorliegen einer endogenen Psychose, die unabhängig vom ausgeprägten Drogenkonsum bestanden hätte, keineswegs hinreichend belegen. Diesbezügliche Vermutungen bzw. Symptombeschreibungen dürften am ehesten auf akute und temporäre drogeninduzierte psychoseartige Zustände bzw. während des Entzuges aufgetretene psychische Entgleisungen zurückzuführen sein." (Passie & Dehmlow: Die "eiserne Klammer um Kopf und Herz" – Trauma und Sucht des Otto Gross. In: Dehmlow, Rother & Springer (Hrsg.): "... da liegt der riesige Schatten Freud‘s nicht mehr auf meinem Weg“. Die Rebellion des Otto Gross. 6. internationaler Otto Gross Kongress Wien, 8.-10. September 2006, Marburg 2007, S. 253-254)