Mit der nunmehr 38. Verlegung von Stolpersteinen am 10. Oktober gedenkt die Stadt Magdeburg erneut ihrer verfolgten, verjagten und ermordeten jüdischen Mitbürger. Es sind 19 Namen, an die damit erinnert werden soll und wie die städtische Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“ mitteilt, wird Gunter Demnig, der Initiator der Stolpersteine, die Steine verlegen. Zu der Verlegung werden Angehörige der Familie Lerner und der Familie Rosenheck aus den USA anreisen: Reb Chaya Lerner und Ehefrau sowie Orlie und Gil Kraus, die Kinder von Gitta Tova Rosenheck, Gils Ehefrau Cynthia und die gemeinsame Tochter Hana.

Erinnert wird an:

9:00 Uhr
Potsdamer Str. 3

Alwine Krone, geb. Ellenburg

9:45 Uhr
Gustav-Adolf-Str. 24

Emmy Meyer, geb. Reiss gesch. Mossgraber und Ernst Meyer

10:15 Uhr
Jakobstr. 23

Eva Lewniowski, geb. Drucker verw. Honik und Albert Lewniowski

10:40 Uhr
Otto-von-Guericke-Str. 110

Anna Chana Rosenheck, geb. Feigenbaum, Emanuel Meir Rosenheck, Gitta Tova Rosenheck, Harald Zwi Rosenheck und Max Moshe Rosenheck

11:10 Uhr
Kölner Str. 1 (heute Ernst-Reuter-Allee 37)

Albert Hirschland

11:40 Uhr
Hasselbachstr. 8

Hella Lerner, Johanna Lerner, geb. Lastmann, Mitman Leo 'Luerowicz' Lerner und Ruth 'Jackie' Lerner

12:15 Uhr
Schäfferstr. 12

Agnes Hanna Glogowski, geb. Pomplitz, Eva Glogowski, Helmut Glogowski und Josef Ernst Glogowski

Wer waren die Menschen, an die erinnert wird?

Eva Lewniowski wird als Eva Drucker am 18. Oktober 1891 in Lemberg geboren. Ihre Eltern sind Marjem Drucker und Berl Hahn. Nach dem Besuch der Volksschule ist sie als Arbeiterin in einer Zuckerfabrik tätig. Am 17. Februar 1917 geht sie vor dem Feldrabbiner in Lemberg die Ehe mit dem Friseur Szlama Gidali Honik ein, schon am 9. Mai 1917 wird die gemeinsame Tochter Lea Charlotte geboren. 1919 verlässt die Familie Lemberg und verzieht nach Magdeburg, wo sie sich in der Jakobstr. 23 niederlassen. Bald darauf verlässt Szlama Honik die Familie und gilt fortan als verschollen. Eva Honik nimmt einen Handel mit Altmetallen und Lumpen mit einem Ladengeschäft Stefansbrücke 14 auf, wechselt allerdings bald zum Handel mit Obst, Gemüse und Südfrüchten mit einem Stand auf dem Alten Markt. Sie nimmt eine Beziehung zu dem Bankangestellten Albert Lewniowski auf, eine gemeinsame Tochter Ruth kommt am 26. Mai 1926 in Magdeburg zur Welt. 

Albert Lewniowski ist am 13. Dezember 1890 in Altona, Feldstr. 63, Haus 1p geboren. Seine Eltern sind Bertha Lewniowski, geb. Alexander, geb. 3. Januar 1857 in Hamburg und der Schlosser und Gelbgießer Adolf Abraham Lewniowski, geb. am 12. März 1849 in Neu Sandez (heute: Nowy Sącz/Polen) in Galizien. Das Ehepaar hat am 21. Februar 1882 in Hamburg geheiratet, aus der Verbindung sind sieben Kinder hervorgegangen, Albert ist der Zweitjüngste. Er hat die Volksschule und anschließend das Gymnasium besucht, bald hat sich die Familie in Magdeburg in der Straßburger Str. 2 niedergelassen. Schon am 12. Januar 1919 verstirbt dort der Vater und wird auf dem Jüdischen Friedhof, Fermersleber Weg 2, bestattet (Sektion 3, Reihe 6, Grab 3). Im Verlauf der Bankenkrise 1931 verliert Albert Lewniowski seine Stellung als Buchhalter und Kassierer bei dem Bankhaus arrow Nussbaum & Rothschild Alter Markt 12 und ist gezwungen, sich mit der Ausführung diverser privater Buchhaltungsarbeiten finanziell über Wasser zu halten, auch hilft er Eva Honik, indem er deren Buchführung übernimmt und am Markstand aushilft. Am 31. März 1933 stirbt auch die Mutter, die neben dem Vater bestattet wird. Stolpersteine für Eva und Albert Lewniowski

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten verschlechtern sich die Lebensbedingungen für Eva Honik und Albert Lewniowski eklatant: ihr wird das Halten des Markstandes verboten und sie ist gezwungen, den Straßenhandel mit Obst aufzunehmen, bevor ihr auch dieser untersagt wird. Ein Schicksalsschlag trifft das Paar als die achtjährige Tochter Ruth am 28. Januar 1935 in der Krankenanstalt Altstadt verstirbt.

Lea Honik, die ihre Ausbildung bei der Schuhfirma Wolff abgeschlossen hat, entschließt sich, die Stadt zu verlassen. Sie hält sich zunächst in Wilhelmshaven und Flensburg auf, ehe sie in Fischbach bei Augsburg in der Hachschara-Ausbildungsstätte Beth Hechaluz Aufnahme findet, um sich auf die Ausreise nach Palästina vorzubereiten. 1935 wird Szlama Honik mit Urteil des Landgerichts Magdeburg für tot erklärt und Eva Honik und Albert Lewniowski, gehen daran, ihre Heirat zu planen, die am 22. März 1938 stattfindet, Trauzeugen sind Abram Laib Szczupak und Ruben Rywen Lichtblum. Heiratsurkunde Eva und Albert Lewniowski

Doch schon Ende Oktober wird Eva Lewniowski Opfer der so genannten "Polenaktion", bei der Tausende im Deutschen Reich lebende Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaftet und an die polnische Grenze nach Bentschen/Zbąszyń verbracht werden. Sie kann allerdings zur Regelung ihrer Angelegenheiten nach Magdeburg zurückkehren. Albert Lewniowski hat in der Zwischenzeit fieberhaft Vorbereitungen für eine Ausreise aus Deutschland getroffen. Im Fragebogen der Oberfinanzdirektion für das Umzugsgut hat er am 15. Juni 1939 einstweilen als Umzugsziel Polen genannt. Mit der Prüfung des Umzugsgutes wird am 21. Juni der berüchtigte arrow Obergerichtsvollzieher Otto Odemar beauftragt, der den Wert des Umzugsgutes auf 1.500 RM schätzt. Schon am 11. Juli meldet die ortsansässige Spedition Baumann, dass das Umzugsgut im Hamburger Freihafen deponiert ist, am 15. Juli meldet Albert Lewniowski, dass alle Kosten bis Antwerpen bezahlt sind und er Einreise nach Montevideo, Sydney oder Shanghai erwarte. Tatsächlich verlassen Eva und Albert Lewniowski Magdeburg Richtung Belgien, nachdem sie sich zuvor in Berlin noch mit der Tochter Lea treffen. Das Paar kann sich in Brüssel in der Rue du Moulin 141 niederlassen, doch schon im Mai 1940 besetzen deutsche Truppen Belgien. Albert Lewniowski wird am 1. November in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert, von dort am 6. August 1942 in das Sammel- und Durchgangslager Drancy bei Paris, ehe er am 10. August 1942 mit dem Convoi 17 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort vergast wird. 

Eva Lewniowski verlässt Belgien 1948 Richtung Israel, wo die Tochter Lea inzwischen in Bat Jam südwestlich von Tel Aviv lebt. Sie erkrankt schon 1951 schwer und ist auf Pflege angewiesen. Sie stirbt am 4. April 1959 in einem Pflegeheim in dem vom Arztehepaar Dres. Eugenie und Siegfried Steckelmacher und anderen deutschen Einwanderern gegründeten Moschaw (= Siedlungsgenossenschaft) Ramot haSchavim nordöstlich von Tel Aviv.

Max Moshe Rosenheck wird am 8. März 1893 in Kniażdwór in der Nähe von Kolomea im Kronland Galizien und Lodomerien geboren. Seine Eltern sind der Landwirt Hersch Rosenheck und seine Ehefrau Brane, geb. Hisler. Zur Familie gehören weitere acht Geschwister. Max besucht die Volksschule und absolviert anschließend eine Lehre in einem Delikatessengeschäft. Schon 1910 entschließt er sich die Heimat zu verlassen und in der Fremde, in Magdeburg sein Glück zu versuchen. Dort erhält er eine Anstellung in einem Abzahlungsgeschäft, bei Ausbruch des 1. Weltkrieges wird er allerdings zum 19. Landwehr-Regiment der k.u.k Armee eingezogen und gerät am 16. August 1916 in russische Kriegsgefangenschaft, die ihn nach Sibirien verschlägt und aus der erst am 6. August 1920 entlassen wird. Mit Zwischenstation im Lockstedter Lager gelangt er wieder nach Magdeburg. Dort ist er zunächst als Handelsvertreter unterwegs, ehe er 1923 ein Abzahlungsgeschäft für Konfektion und Wäsche in der Otto-von-Guericke-Str. 110 eröffnen kann. 1926 heiratet er die aus seiner Heimatgegend stammende Anna Chana Feigenbaum, geb. am 3. 1. 1900. Sie hat die Volksschule an ihrem Geburtsort Kolomea besucht, ehe sie mit ihren Eltern und dem Bruder Zigmund nach Frankfurt a.M. verzieht, wo die Familie in der Seumestr. 3 ansässig wird.

Anna Chana und Max Moses Rosenheck. Foto: Privat

Die Geschäfte in Magdeburg laufen gut, Anna ist gleichfalls in Geschäft tätig, weil Max häufig auf Reisen ist, zwei Angestellte und drei Arbeiter können beschäftigt werden, ein Dienstmädchen hilft im Haushalt der 5-Zimmer-Wohnung. Zur Familie gehören inzwischen der am 7. August 1928 geborene Harald Zwi und die am 6. Juli 1932 geborene Gitta Tova.

Der Machtantritt der Nationalsozialisten verändert alles! Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 trifft besonders Max Rosenheck. Der Mob stürmt das Geschäft und man droht, ihm den Schädel einzuschlagen, wenn er nicht die Schulden erlassen würde. Nur das entschlossene Eingreifen Annas verhindert Schlimmeres - ähnliche Vorfälle ereignen sich auch in der Folgezeit. Max Rosenheck gerät in Panik und entschließt sich, sofort mit der Familie das Land zu verlassen - unter Zurücklassung der gesamten Habe, denn er findet niemanden, der sich deren annehmen könnte.

Er begleitet Frau und Kinder am 15. 8. nach Frankfurt zu den Schwiegereltern, verlässt selbst Deutschland und findet in Valenciennes in Frankreich eine Bleibe für sich und die Familie, die bald nachfolgt. 1934 gelangt die Familie in das Saargebiet nach Saarbrücken, doch mit dem „Anschluss“ des Saarlands am 1. März 1935 fühlt man sich auch dort nicht mehr sicher. Die Familie setzt sich nach Luxemburg ab, wo 1936 das dritte Kind der Familie, Emanuel Meir, zur Welt kommt. Doch sicher fühlen sich die Rosenhecks auch dort nicht und so schiffen sie sich am 2. April 1936 auf der S/S Providence von Marseilles nach Palästina ein.

Als Flüchtlinge ohne Barschaft finden sie zunächst in Tel Avivs Arnon St. eine Bleibe, werden dort aber bald delogiert, weil sie die Miete nicht zahlen können. In einer Holzbaracke müssen sie fortan am Strand von Machlul in einem Raum leben, Anna verdingt sich als Haushaltshilfe, Max geht hausieren, ehe er eine Wäscherei übernehmen kann. Beide Eltern erkranken schwer, 1941 muss Max die Berufstätigkeit aufgeben. Er stirbt am 2. August 1972 in Israel, Anna im August 1988.

Stolpersteine für die Familie RosenheckHarald Zwi besucht die Volksschule in Tel Aviv, ist später Laufbursche, Tellerwäscher und Zulanger in einer Textilfabrik. Obwohl schon 1946 schwer erkrankt und später zu 40% schwerbeschädigt, absolviert er von 1948-1951 den Militärdienst. Später holt er das Abitur nach und wird Sozialarbeiter. 1952 heiratet er die Krankenschwester Schoschanna Reiner mit der er zwei Kinder, Aran (* 1957) und Judy (* 1965), hat. Später verlässt die Familie Israel und geht in die USA. Gitta Tova wird zur Kinderpflegerin ausgebildet, heiratet 1954 den am 23. Juli 1928 in Köln geborenen Schneider Sigfried Samuel Kraus. Auch sie verlassen 1956 Israel und siedeln sich in New York an. Zwei Kinder, Orlie (* 1958) and Gil (* 1961) werden geboren. Im September 2016 verstirbt Sigfried Kraus. Emanuel Meir wird in Israel Tischler, heiratet und wird Vater von drei Kindern, Dorit (* 1962) und den Zwillingen Shai und Yaniv (* 1968). Emanuel Meir stirbt 2014. 

In Kolomea (Kolomyja, 1919-1939 polnisch, heute zur Ukraine gehörend) lebten bei Ausbruch des 2. Weltkriegs 44.000 Menschen, davon 15.000 Juden. Im Juli 1941 ging Kolomyia von der sowjetischen in die deutsche Besatzung über. Am 12. Oktober 1941 verhaftet die Wehrmacht und die ukrainische Polizei fast 3.000 Juden und erschiessen sie in den nächsten Tagen im Wald nahe Szeparowce. Eine weitere „Aktion“ findet am 6. November 1941 statt. Schließlich werden am 23. Dezember 1941 etwa 1.000 Juden mit ausländischen Pässen verhaftet, inhaftiert und am Ort früherer Hinrichtungen erschossen. Im März 1942 richten die Deutschen in der Gegend drei Ghettos ein, in denen sie fast 18.000 Juden aus Kolomyia und Umgebung unterbringen. Schon im April 1942 werden etwa 5.000 und im September 1942 fast 7.000 Menschen in das Vernichtungslager Bełżec deportiert. Am 20. Januar 1943 werden 2.000 überlebende Juden in mehreren Häusern versammelt und am 2. Februar 1943 erschossen. Zu den Opfern gehören auch Brane, die Mutter Max Rosenhecks, und sechs seiner Geschwister.

„Verfolgung, Krieg, Armut, Traumata und der Verlust der Würde machten meine Großeltern taub und unfähig, tatsächlich zu leben. Sie konnten kaum überleben, geschweige denn ihre Familie ernähren. Sie glaubten jedoch, dass uns ihr Schmerz und ihre Schande erspart blieben, wenn sie nicht über ihr Leid sprachen.

Aber Traumata verlassen den Körper nicht immer und können weiter durch unsere Adern fließen. Sie können von Generation zu Generation weitergegeben werden. Ein Trauma, das nicht behandelt wird, ist der stille Killer des Herzens.“

(Orlie Kraus anläßlich der Verlegung der Stolpersteine)

„Heute sind wir hier, um meine Familie zu ehren und wir sind dankbar für diese Gelegenheit. Heute gedenken wir meiner Großmutter und ihrer Familie, ich gedenke dem Fakt wie ähnlich doch die Leben ihrer Vorfahren waren und wie diese Kontinuitätslinie bei ihr und ihren Eltern und Geschwistern endet. Wie schwierig und anders ihr Leben war, erst aus der Heimat zu fliehen, um dann im Exil leben zu müssen. Wie viele andere dachte sie: Wie kann man nach all dem, was passiert war, zurückkehren? Ich denke daran, wie sehr das Leben meines Vaters und wie meines ist, weil sie vor einer langen Zeit hier aus Magdeburg fliehen musste.

Ich finde das Projekt der Stolpersteine ist ein ergreifendes Beispiel für die deutsche Erinnerungskultur. Die Vergangenheit kann nicht geändert werden. Was passiert ist, ist passiert. Durch dieses Projekt wird die Geschichte meiner Familie nach Magdeburg und nach Deutschland zurückgebracht und das ist wunderschön. Heute fühle ich ein wenig Seelenfrieden. Im Namen der Familie: Vielen Dank.“

(Hana Kraus anläßlich der Verlegung der Stolpersteine)

Albert Hirschland, der am 26. November 1896 im westfälischen Steinheim geborene Leiter und Lehrer von „Brucks höherer Handelsschule“ in Magdeburg wird am 29. April 1935 verhaftet. Am 18. Juni 1935 steht er in Magdeburg in einem Prozess vor Gericht, der deutschlandweit für Aufsehen sorgt. Er wird beschuldigt, Geschlechtsverkehr mit minderjährigen nichtjüdischen Schülerinnen gehabt zu haben. Als zentraler Schuldbeweis Hirschlands wird bei dem Prozess ein - von Hirschland als Fälschung bezeichnetes - Tagebuch eingebracht, ihn entlastende Aussagen geflissentlich ignoriert.

Wie wesentlich für die Nationalsozialisten der Prozess ist, belegt die Anwesenheit des Schriftleiters des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, Karl Holz, der am Vorabend des Prozessbeginns in der Stadthalle Magdeburg vor vollbesetztem Saal eine Hetzrede zur Einstimmung der „Volksgemeinschaft“ hält, auch die Spitzen von NSDAP und SA sind beim Prozess präsent.

Albert HirschlandAlbert Hirschland - der vor der Urteilsverkündung einen Suizidversuch unternimmt - wird vom Schwurgericht schon am 19. Juni wegen unerlaubter sexueller Handlungen in fünf Fällen für schuldig befunden und zu 10 Jahren Zuchthaus und zehn Jahren „Sicherungsverwahrung“ verurteilt, die Schule auf Anordnung des Polizeipräsidenten im Juli geschlossen. In der Begründung heisst es: „Die Erregung der Bevölkerung Magdeburgs über die Treibereinen Hirschlands in sittlicher Beziehung ist so groß, daß Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für den Schulbetrieb zu befürchten sind.“

Sächsische Volkszeitung, 21. Juni 1935, S. 5Unmittelbar nach Urteilsverkündung beginnt eine beispiellose Pressekampagne mit gleichlautenden Meldungen zum Prozessausgang, von der kaum ein Provinzblatt ausgenommen bleibt. Im August 1935 erscheint eine 16-seitige Sondernummer des Stürmer, die in großen Lettern mit „Albert Hirschland. Der Rassenschänder von Magdeburg“ titelt und von der zwei Millionen Exemplare verteilt werden.

Am 24. August 1935 kommt es in Magdeburg infolge des Prozesses zu Krawallen, wobei die Kaufhäuser Barasch und Salberg zum Hauptziel eines antisemitischen Mobs werden: Kunden werden bespuckt und geschlagen, hunderte Demonstranten blockieren die Eingänge. Die Polizei erzwingt die vorübergehende Schließung der Kaufhäuser, die Angestellten müssen durch die Hinterausgänge fliehen.

Die von Hirschland angestrebte Revision wird im September 1935 vom Reichsgericht als „offensichtlich unbegründet“ verworfen.

Die von den Nationalsozialisten geschürte antijüdische Hysterie bereitet den Boden für die im September 1935 vom Reichstag verabschiedeten Nürnberger Rassengesetze, die unter anderem die Eheschließung und den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden zur „Rassenschande“ deklarieren und unter Strafe stellen, den alltäglichen Kontakt kriminalisieren. 

Etliche Verfahren gegen jüdische Mitbürger Magdeburgs sind die Folge - so gegen arrow Markus Augenreicharrow Dr. med. Erich Böhm und arrow Max Katzmann. Bereits im Dezember 1935 treffen die rassistischen Verfolgungsmaßnahmen leitende jüdische Angestellte des Warenhauses Barasch, die wegen angeblicher „sittlicher Verfehlungen an weiblichen Angestellten“ verhaftet werden, das Kaufhaus wird vorübergehend geschlossen und erst wieder geöffnet, nachdem ein „arischer Betriebsführer“ eingesetzt wurde. Ins Visier der Nationalsozialisten gerät auch der lutherische Pfarrer Oskar Zuckschwerdt, der Albert Hirschland am 17. März 1935 in der St.-Ulrich-Kirche in Magdeburg getauft hatte. Er wird mehrmals von den Nazis festgenommen und im Stürmer scharf angegriffen, weil er Hirschland die Taufe ermöglichte.

Die „Verordnung gegen Volksschädlinge“ vom 5. September 1939 ermöglicht eine Verschärfung der Strafen für „Rassenschande“. Waren anfänglich Zuchthausstrafen vorgesehen, werden nach Kriegsbeginn auch Todesstrafen verhängt. Stolperstein für Albert Hirschland

Albert Hirschland wird nach der Inhaftierung 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort am 18. Februar 1943 ermordet. 

2023 sind zwei weitere Stolperstein-Verlegungen in Magdeburg geplant - am 9. November 2023 um 14:00 Uhr, Markgrafenstraße 2, zum Gedenken an die Familie David Schlein und am 10. Dezember 2023 um 15:00 Uhr, Anhaltstraße 9, für die Familie Heymann-Lewin.

Die Suche nach „Putzpaten" für die verlegten Stolpersteine geht weiter: Für die bislang 716 Stolpersteine an 234 Verlegeorten konnten bereits 208 Paten gefunden werden, für 26 Standorte werden noch Paten gesucht. Kontakt: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it. oder 0162 7862971 (Peter Wetzel) 

Weitere Informationen: arrow www.magdeburg.de