Otto Gross an Frieda Weekley
1. Meine Geliebte, ich kann gerade schreiben - ich glaube, das macht Dein letzter Brief, der hat mir Ruhe und Glück gegeben - ich hab's gebraucht, in diesem Zustand fühlt man immer ein unbekanntes Drohen hinter sich und kann so schwer die Ruhe finden - - dass Du, Geliebte, nach Amsterdam kommst [1], dass Du wirklich zu mir kommst - das hat mich so wunderbar in die Höhe gehoben - Du, ich werde Dich mit befreitem Geist lieben - viel schöner, so wie man Dich [???? mehrere Worte unleserlich] rein ist diese Stellung - - so hinreissend bist Du, Geliebte! - Du, Deine Seele kenne ich, so weit sie sich verstehend ermessen lässt - Du bist mir so vertraut und so wunder- bar neu - für immer neu und wieder neu - ich habe Deine Seele blühen gesehen, nicht nur "geahnt" - - das Leuchtende sieht man - wenn man dazu die Augen hat, das Schauen in's Licht ist nicht vielen gegeben - so reiche schwere Schätze einer wunderbar reinen - von einem genialen Auf-Sich-Beruhn so rein erhaltene Seele hab' ich in Dir gesehen und genossen -
Dein neues Bild vor mir sehe - Du Himmel segne Dich, Du Zukunftsweib ! Weisst Du wohl selbst, was dieses Bild entdeckt - dass Dir die grosse Geberde gegeben ist und die hohe Kunst, aus Deiner Schönheit immer neue Schönheit selber [2] zu schaffen ? Die Kunst, das Glück zu schenken in grösster Einfachheit zugleich und im Be- wusstsein, dass Du unschätzbare Gaben schenkst - - Das ist so unvergleichlich gross in Der Geberde auf diesem Bild - so unvergleichlich reiches und heisses üppiges Sich-Schenken und so viel Adel und Hoheit so überaus ganz in Flammen - - ich fühle jetzt bereits, dass ich mich selber wiederfinde durch das Los- kommen vom Narkotisieren - dass ich mehr ich selber noch bin als damals - und je freier und stärker ich bin, je heller und weiter es wird um mich, desto höher und grösser ist auch meine Liebe zu Dir, desto stärker und voller und reicher - auch ich, Geliebte, werde jetzt Deiner Liebe entgegengewachsen sein. Du musst das denkbar Höchste von mir verlangen, Geliebte : es ist gerade gut genug für Dich. Wie heiss ich Dich doch lieben muss, wenn ich [3]
2. Weisst Du nun auch, warum ich Dich brauche ? Nicht wahr, Du weisst es gut, dass unsere Liebe etwas viel zu Starkes ist, als dass ich an [4] etwas in der Art von "Trösten" denken dürfte - ich mag so etwas gar nicht herschreiben. Du weisst auch, das Glück, dass Du giebst, ist ein so unsäglich reiches und volles, dass es die ganze Seele mit Sonne bis zum Grund erfüllt. Wenn es mir noch bestimmt ist noch einmal Dich wie ehedem glücklich zu machen, dann ist die Kraft noch mein, in der Freude Gutes und Grosses zu schaffen - - Wenn ich noch einmal mein vollendetstes und herrlichstes Werk wie damals wieder- sehen darf, als ich um dieses Werkes willen mir selber zu Freude geworden bin : Dein Glück. - Du hast wohl nie gewußt, was Du mir damals gegeben hast in dem Bewußtsein, Dich, Du Prachtvolle, glücklich machen zu können - - als wenn ich hätte der Welt eine Sonne schenken können. Lass mich die Sonne sehen ! - Nun bist Du reich an Liebe, [? Wort unleserlich] Du - wenn Du mich jetzt noch so lieb hast wie damals, dann giebst Du mir noch ein Grosses dazu,
das weisst Du wohl ? In Glück und Pracht der Liebe, verschwenderisch schenkend und geniessend in lebensbejahender Freude - so wäre Dein Leben der Königs- mantel Deiner Schönheit, Geliebte - - So möchte ich Dich finden und fragen, ob Du mich lieb behalten hast - - - Geliebte, wenn Du zu mir kommst und hast mich noch lieb und hast noch Freude an mir - mit Deiner Freude heilst Du mich vom Gift und Deiner Freude werde ich mein Bestes verdanken. Wenn mir bestimmt ist gesund zu werden, [?????? mehrere Worte unleserlich] Leuchten Deiner geliebten Augen sein. Du wirst Dich dann schmücken mit einem Kettle ums Knie und wir werden uns lieben mit Lachen und Jubeln und alle Reinheit einer besseren Menschenzukunft wird dann mit Deinem Lachen über uns fluthen - - Du wirst mich wieder wie damals fragen, ob du komische Ohren hast, und ich werde diese Ohren küssen, die nichts von all dem lebensmörderischen Wahn und Zwiespalt dieser armen Menschheit vernommen haben und silbernes Glockenklingen der Zu- kunft hören - - - Otto
1) vermutlich im September 1907. Gross will in Amsterdam am Kongreß für Neuro-Psychiatrie teilnehmen, der vom 2.-7. September 1907 dort stattfindet, und referieren 2) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt 3) Vermutlich ist diese Zeile vor der ersten dieser Briefseite ("Dein neues Bild vor mir sehe - Du Himmel") zu lesen 4) Das vorstehende Wort wurde von O. G. nachträglich in den Text eingefügt
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