Otto Gross an Frieda Weekley
1. Meine Geliebte, mir ist als seien Jahre hin- gegangen seit meinem letzten Brief. Ich bin seither zum andern Mal in neues Land gekommen - es geht jetzt seltsam zu mit mir von Tag zu Tag. Behalt nur Du mich lieb, Du angstvoll und unendlich geliebte Frau - Du einzige, die mich um meines Strebens willen an sich genommen hat - - Mein Weg hat angefangen einsam zu werden - gerade weil mir diese bestimmte Richtung vorgezeichnet ist - Jetzt scheint es so zu kommen, dass Frieda - die seit einiger Zeit bei Else ist [1] - wahrscheinlich nicht mehr zu mir zurückkommen wird - entweder überhaupt nicht mehr oder sonst [2] noch zu einem allerletzten Versuch - zu einer letzten Unterredung, möchte ich sagen - - - Ich weiss, warum es so hat kommen müssen. Es ist derselbe stete verschwiegene Kampf, der zwischen mir und Frieda aus dem umfassendsten und tiefsten Gegensatz der Willensrichtung zum unvermeidlichen Verhängnis geworden ist. Denn der beherrschende Impuls in Frieda ist der Impuls zur Verdrängung - - - und dieser überall entscheidende Impuls muss sie unfehlbar immer weiter weg von mir und immer mehr in möglichst schroffen Gegensatz zu Allem drängen, was ichbin - -
1) Gemeint ist Else Jaffé, die Schwester Frieda Weekley's, die in Heidelberg (Unter der Schanz 1, eine Privatstraße) wohnt. Im Frühjahr 1908 ziehen Else und ihr Ehemann Edgar nach München um. 2) Das vorstehende Wort wurde von O.G. nachträglich in den Text eingefügt.
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