Otto Gross an Frieda Weekley
1. Meine Geliebte, ich hab' Dir neu- lich wohl Etwas durch einander geschrieben - weisst Du, es war so Etwas Unbegreifliches für mich - - - ich musste gleich zu Dir mit Allem, bevor ich noch ein wenig in Ordnung war - - - Ich hab' jetzt einen wunderbaren Brief von Dir bekommen - Du hast mich noch lieb ! Meine Geliebte, mein goldenes Friedele ! Da schreibst Du, es wird mir "un- interessant" werden zu hören, dass Du mich liebst - und ich hab' eben darauf als meine Rettung gewartet ! Du meine Geliebte, Du Freundin, Du mütterliches Weib - ich kann ja wohl zu Dir wie zu mir selber reden - - - weisst Du, es ist nicht Stolz, wenn ich mich nicht recht traue zu bitten - es ist immer die Angst, Du könntest etwa aus Mitleid mir etwas geben, was nur die Liebe geben soll, oder Mitleid auf Kosten Deiner Liebe - - Nun aber will ich alle solchen Bedenken hinter mir lassen - sie scheinen mir auf einmal kleinlich neben der grossen Liebe und neben Deiner grossen und reichen, stolzen Güte. Ich brauche Dich
ich brauche Dich, damit mir Etwas Bestimmtes von meiner Seele nicht verloren geht - - - Etwas, was Du an mir geliebt hast und was zu mir gehört, wenn ich so recht das Meinige schaffen und wirken soll - - - Du kannst mir helfen, wie es ganz selten einem Menschen gegeben ist einem anderen helfen zu können - - Wenn Du mir jetzt - d.h. in dieser nächsten Zeit, wenn es Dir eben an sich leicht möglich ist ! wenn Du mir jetzt ein Wiedersehen schenkst und kommst zu mir und hast mich so lieb wie ehemals - dann hast Du mein böses Schicksal von mir abgewendet - dann hab' ich dieses Eigenthümliche innere Glücks- gefühl wieder, das meine Kraft und Sicherheit und mein Schutz für neue Wege ist - mein innerstes aus Freude und Liebe kommendes Ja, das mir in allem Erkennen und Streben Wärme und Jugend giebt und Glauben an mich - ich kann's nicht recht in Worte bringen, was das ist - Du hast es wunderbar heraus- gefühlt und ich hab' damals erst so Manches
davon durch Dich an mir verstanden. "Du bist Erotik" hast Du mir damals gesagt - ich hab' so viel darüber denken müssen - ganz hab' ich's jetzt in diesen Tagen verstanden - - Siehst Du, in dieser Erfahrung mit Else [1] ist dieses Eine, was meinem tiefsten Gefühl so unbegreiflich bleibt = dass die Ent- wickelung einer Seele, an der ich doch mit meinem ganzen Wesen und - um bei Deinem Wort zu bleiben - "als Erotik" mitgewirkt hatte, dann doch zuletzt nicht in sich selbst zu eigener Fülle gehobenen Lebens gereift ist - dass eine Seele - ich möchte sagen = unter dem Zeichen der Erotik mit mir in Tiefen und Höhen die Welt erleben konnte und bald darauf sich mit den mir und meinem Weltempfinden extrem entgegengesetzten und innerlich verhasstesten Elementen in voller Bejahung zusammenfinden - dass eine Seele im Freudefest der Liebe in meine Welt einziehen und ihre Heimath bei einer Welt erkennen konnte und jetzt mich einen Fremden nennen kann, in dessen Land man nur "zu Gast gewesen sei", und jetzt sich gerade dort zuhause fühlt, wo ich ein Fremder und einsam bin
bei einem Typus Mensch, dem Alles unbekannt und unverstanden ist, was mir als werthvoll und hoffnungsreich und vor Allem als vornehm gilt - - dass eine Seele auf ihren in Wirklichkeit höchsten Höhen mit mir und meiner vereint gewesen sein und dennoch ihre Höhen verlassen kann - - - Nicht dass ich Else für mich verloren habe - dass ihr die besten Mög- lichkeiten in ihrer eigenen Seele nicht für sie selbst erhalten worden sind - dass mir die segnende Macht der Erotik selber hier nicht die Kraft dazu ver- liehen hat, das adelige Wesen in ihr - das ist ihre wirkliche Persönlichkeit - wenn nicht für mich, so doch für immer ihr selber zu sichern - das ist das Gift, das mich krank macht - Es ist nicht an sich selbst der Miss- erfolg - in meinem mehr auf Sprung und Schlich gerichteten Leben ist das Vergessen der Misserfolge ein uner- lässliches Talent. - Hier ist es, dass mich die besondere Kraft im Stich gelassen hat, von der mir im tiefsten Grunde alles Gute kommt, dass ich erleben oder thuen kann. -
2. Für mich ist das vielleicht das Trau- rigste an diesem Schicksal, dass Frieda [2] sich gerade dann noch mehr von mir entfremden muss, wenn ich gerade wirklich auf meiner Bahn gestiegen bin - - das war ja meine schwerste Last in diesen ganzen Jahren, dass Frieda niemals rechte Freude an meiner Arbeit hatte - gerade immer weniger, je weiter ich gekommen bin - je mehr mir mein Beruf zum Ausdruck des Persönlichsten geworden ist - zu einem Producieren aus meiner aller- eigensten Freude an mir und Allem was von meiner Art ist - - - Ich habe die Natur dieses trennenden Gegensatzes erst in der letzten Phase seiner Entwickelung verstehen gelernt. Ich hatte in der aller letzten Zeit mich selber nach unseren Methoden vom Druck verdrängter Kindheitsimpressionen [3] befreien müssen - das war bisher für mich in meinem Beruf die wichtigste Entwickelung, und diese muss ich auch am theuersten bezahlen - Bis dahin hatte Frieda eine Reihe entscheidender Verdrängungen [4] mit mir gemeinsam gehabt - und so allein
ist es ihr möglich gewesen, an diesen Verdrängungen festzuhalten. Sie muss nun fühlen, dass dies fortan nicht mehr gelingen kann - dass ein Zusammen- bleiben jetzt nur mehr dann gedeihen kann, wenn nun auch sie mit den Verdrängungen aufgeräumt. Der Widerstand in ihrem Unbewussten ist aber allzugross - - - - - Ich kann jetzt nimmer weiter schreiben - ich setze morgen oder nächstens fort. Ich bitte Dich jetzt nur, schreib mir sobald als möglich - Hast Du mich noch so lieb wie früher ? Ich darf Dir jetzt in der Verlassenheit ja nicht mehr so wie ehedem von meiner Liebe reden - Du weisst es aber doch wohl noch, wie ich von meiner Liebe zu Dir gesprochen habe, als ich noch glücklich war ? - -
Du weisst, dass Glück und Unglück nichts an meiner Liebe ändern können - - Es schickt sich nicht für Einen, von dem das Glück sich wendet, sich noch besonders echt zur Geltung zu bringen. Allein das Eine sollst Du doch wohl wissen, dass mir das Unglück nichts von meiner Liebe nehmen kann und nichts von meinem Streben. Geliebte - hast Du mich noch lieb ? Dein Otto
1) Gemeint ist Frieda Weekley's Schwester Else Jaffé, geb. von Richthofen 2) Gemeint ist Gross' Ehefrau Frieda, geb. Schloffer 3) Vgl. auch die wahrscheinlich 1919/1920 im Zuge des Versuchs einer Selbstanalyse entstandenen Aufzeichnungen von Otto Gross: Der Schrei verhallt heut' meist ungehört. Dokumentation und Rezeption nachgelassener Analysen und Träume des Otto Gross 4) In einem Brief an Else Jaffé vom 20. Februar 1906 schreibt Frieda Gross, daß sie sich wegen der obsessiven Beziehung zu ihrem Vater schuldig fühlt.
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