Otto Gross an Frieda Weekley
Meine Geliebte, ich schicke Dir einen frohen Gruss aus meiner ganzen umarmenden Liebe heraus. Ich bitte Dich, sei froh in Deiner Schönheit - Du bist mein. Du Geliebte - es ist mir so, als ob Du aus der Ferne fühlen müsstest, wie meine Liebe zu Dir sich schmückt - als müsstest Du gewusst haben, warum ich so lange still war - gewusst haben, dass es die Ungewissheit eines neuen Wachsens war - Ungewissheit über Alles und Jedes, nur niemals um mein Lieben, das unveränderlich ist.
Ich hätte Dir in jedem ein- zelnen Moment gerade im- mer Dieses Eine schreiben können : Ich liebe Dich, und Alles was Liebe ist ist wunderbar schön. Und dann noch Das = ich glaube an das Werden und an den Tag. Den hellen kommenden Tag, für den es Nacht gewesen ist. Und du, Geliebte, weisst es wohl schon lange = den steigenden jungen Glauben, der ist in mich gekommen, seit dem es Nacht gewesen war in mir, damals mit Else [1]. Der probende Schmerz der ist mir zum Keim geworden -
den weiss ich treibend und befruchtend wirken in jeder gesegneten neuen Stunde - der ist mir ganz zur grossen Kraft verwandelt worden, die eine Sonneneinheit wirkt aus Kampf und Liebe. Ich weiss, dass alle Tiefen, die jene Lebenskrise in meinen entscheidenden Tagen mir aufgebrochen hat, nun bis zum Grunde voll sind mit einem neuen Lieben. Ich sehne mich danach, ich könnte Dich in meinen Armen haben und von der Stunde an mit Dir zusammen wissen, mit welcher Kraft
aus einer neuen Tiefe ich Dich von nun an liebe. Du kennst ja meinen Glauben, dass immer nur aus einer Decadence sich eine neue Harmonie des Lebens erschafft - und dass die wunderbare Zeit, in der wir sind gerade als die Decadenceepoche zum Mutterschooss der großen Zukunft bestimmt ist. Und die im neuen Gleich- gewicht vollendete Genesung aus dieser Decadence und alle neue aus dieser Gesundheit geborene Kraft ist frei in mir, um Liebe zu sein : Ich liebe Dich, Dein Otto
1) Gemeint ist Frieda Weekley's Schwester Else Jaffé, geb. von Richthofen
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