In Niedersachsen waren nach 1945 auch Ärztinnen und Ärzte tätig, die im Nationalsozialismus direkt oder indirekt an der Ermordung von Kindern und Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen beteiligt waren.
Psychiater wie Willi Baumert, Leiter der zur Ermordung von minderjährigen Patienten bestimmten "Kinderfachabteilung" in Lüneburg, und Ernst Meumann, Direktor der als Zwischenstation zur "Euthanasie“-Gasmordanstalt Bernburg/Saale dienenden Heil- und Pflegeanstalt Königslutter, konnten nach Kriegsende ihre Karrieren im niedersächsischen Landesdienst fortsetzen.
Weitere Hauptverantwortliche, Täterinnen und Täter der "Euthanasie"-Morde an Erwachsenen und Kindern kamen in den 1950er Jahren an den niedersächsischen Landeskrankenhäusern in leitende Positionen oder konnten relativ ungestört in niedergelassener Praxis arbeiten.
So war Prof. Dr. med. Hans Heinze, einer der Protagonisten des Mordes an behinderten und psychisch kranken Kindern im Nationalsozialismus, ab 1954 als Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wunstorf tätig und Prof. Dr. med. Gerhard Kloos, für die Ermordung von Kindern und Tuberkulosekranken in der thüringischen Landesheilanstalt Stadtroda verantwortlich, übernahm die Leitung der Heil- und Pflegeanstalt Göttingen. Dr. med. Klaus Endruweit, ab 1940 als Arzt in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein im Einsatz, eröffnete am 1. Juli 1946 eine Arztpraxis in Bettrum im Landkreis Hildesheim und war im Vorstand mehrerer ärztlicher Körperschaften aktiv.
Das Symposium "Personelle Kontinuitäten in der Psychiatrie Niedersachsens nach 1945" präsentiert die Ergebnisse des vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Auftrag gegebenen Forschungsberichts "Personelle Kontinuitäten in der Psychiatrie Niedersachsens nach 1945", vorgetragen von Dr. phil. Christof Beyer vom Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin der Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Der Referent hat reichlich vorgearbeitet: Unter anderem thematisierte er in der Broschüre "Tradition und Transformation. Personelle und politische Kontinuitäten in der Medizin der Nachkriegszeit" (Hannover 2014) "Psychiatrisches Handeln in der Provinz Hannover zwischen 'Drittem Reich' und Bundesrepublik".
Solche Kontinuitäten, eben juristische, professions- und gesundheitspolitische Bedingungen, die zur scheinbar nahtlosen Reintegration von Täterinnen und Tätern nationalsozialistischer Medizinverbrechen in die Gesundheitsversorgung in Niedersachsen und in der Bundesrepublik geführt haben, werden sicher Gegenstand des von PD Dr. phil. Heiko Stoff (MHH) moderierten Abschlusspodiums der Veranstaltung sein, zu der sich Sozialministerin Dr. rer.nat. Carola Reimann zu einem Grußwort angesagt hat.
Das Symposium findet am Montag, 4. Juni 2018 (16.00 bis 19.00 Uhr) im Hörsaal H der Medizinischen Hochschule Hannover statt. Anmeldungen per E-Mail bei