Ich kenne Otto Groß nicht sehr lange, auch sind wir nicht befreundet; die Verschiedenheit der Typen bringt das mit. Ich weiß aber von ihm, daß er eine Witterung für alles hat, was in der gebrechlichen Einrichtung der Welt an Vergewaltigung des Zarten, des Hilflosen, des Edlen und Feinen vorgeht; es ist nicht eben wenig in dieser barbarischen und bürokratischen Zeit. An dieser Vergewaltigung und Schändung irgend eines beliebigen aber erlesenen Wesens, und wenn es ein Hund wäre, entflammte sich diese Seele in Mitleiden und Helfenmüssen; er ist Arzt. (...) Ich habe ihn aus der Nähe arbeiten sehen; habe ihn einen unendlich verletzlichen, dabei geistig völlig überlegenen Menschen heilen sehen, dessen schwere Neurose vier Jahre lang von Autoritäten vergeblich und ahnungslos bespöttelt worden war; habe gesehen, wie dieser fremde Mensch, Dr. Groß, das Mißtrauen, den Widerstand, die Abwehr des Kranken durch seine fühlende, tastende, divinatorisch offene Seele in Mitarbeit verwandelte; habe einen Menschen, der Arzt ist, einem Menschen, der krank ist, helfen sehen - und ich empfand, was ich hier schreibe und ohne jeden Zwang, - weil es sich um ein privates Gefühl handelt - nie gesagt hätte: ich empfand das Genie.
(Arnold Zweig: Die beiden Groß, in: März. Jg. 8. 1914, H. 3, S. 106)