Wir saßen im Neuköllner Bechereck" in der Okerstraße und ließen es uns bei reichlich Bier und diversen Schnäpsen gut gehen. Die Wirtin empfahl den Erdbeerbrand, auch den Ingwerkorn und nach einiger Zeit durften wir für die Musik selber sorgen. Wir wählten Led Zeppelin für den Rest des Abends. Das Gespräch ging hin und her, alte Zeiten in Schaumburg wurden aufgewärmt, gemeinsame Bekannte abgearbeitet sowie freud- und leidvolle Erfahrungen.

Wilfried Osswald - seit Jahrzehnten nicht mehr im Schaumburgischen zuhause -, gelernter Optiker und Musikenthusiast, machte auf mich nicht den Eindruck, als sei er von Heimweh getrieben und doch entschlossen wir uns, seine Heimatstadt Bückeburg, in der auch ich etliche Lebensjahre verbrachte, gemeinsam aufzusuchen. 

Mitte Juli 2023 war es so weit. Pünktlich mit der DB am Bahnhof - zusammen mit all den bunten Gestalten, die zum zur gleichen Zeit stattfindenden Mittelalterlichen Phantasie Spectaculum anreisten - einlaufend, gings die Bahnhofstraße entlang und die Lange Straße hinauf, besichtigten wir - linker Hand - sein Elternhaus, in dem sich früher das Optikergeschäft der Eltern befand. Wie schön, dass man heutzutage durchaus zwischen den Häuserfluchten hindurch in den Hinterhof kann, wo seine Mutter eine Heissmangel betrieb. Fix noch nach gegenüber, zu Zigarren-Eix (Der muss doch über 90 sein ..."), wo Wilfried angeblich seit 1967/68 (Mit 14!?) seinen Tabak gekauft hat. Herr Eix erkannte Wilfried freilich nicht wieder (Ich sag's doch: Du musst zum Friseur!").

Dann allerdings bald die erste und einzige Enttäuschung: Bäckerei Achter hatte Betriebsferien und Bäckerei Schmidt gegen Mittag, dass es nun war, nicht einmal mehr Belag für ein paar Brötchen. Immerhin trafen wir auf Sigrid S., die ich aus Obernkirchen kenne und im Eiscafé Adria nicht selten ihren Latte Macchiato hat. Ein paar Meter weiter hinauf gelangten wir zum Resi" - für Nicht-Bückeburger dem Residenz Kino" -, vor und in dem wir früher so manchen Sonntag verbrachten. Herr Wolf hieß seinerzeit der beeindruckende weisshaarige ältere Herr, der in den sechziger Jahren die Eintrittskarten kontrollierte und auch sonst für Ordnung sorgte.

Dann mussten wir zum Kaufhaus Schild, vorne rein, hinten raus, wie es sich gehört. Nicht wenige von uns Schulkindern wurden hier erwischt, als sie die ersten Zigaretten klauten. Unsere nächsten Stationen waren die Herderschule am Unterwallweg, die frühere Realschule, die wir beide kurzzeitig besuchten, das (Dr. Faust) Hallenbad, in dem arrowKalli Ploch seinen Verkaufsstand betrieb und einzelne Zigaretten abgab und schließlich die Graf Wilhelm-Schule mit ihrem seinerzeit getrennten Schulzweig für Mädchen und Jungen.

Was stand weiter auf unserer Agenda? Bei Gustl" in der Obertorstraße, längst Geschichte, wo im Hinterzimmer gekickert und geflippert werden konnte und das arrowMinchen", legendäre Kneipe am Ortsausgang Richtung Stadthagen, wohl nach dem Triebwagen benannt, der einst die Bahnstrecke zwischen beiden Orten befuhr. Nun gings querfeldein Richtung Bergdorfer Straße, wo wir Dieter L. einen Besuch abstatten wollten. Wir trafen ihn bei Gartenarbeiten, die er flugs unterbrach, um uns zu bewirten und ein bisschen zu plauschen. Ja, was war das damals geil bei Kanbach." - Ich vertrag' ja nur noch gutes Grass." - Ich war ja damals bei Edgar Broughton in Hannover in der Mülltonne." usw. usf. -

Dieter ließ es sich nicht nehmen, uns mit seinem Diesel bis zum Reitweg am Schloss zu kutschieren - im Auto Nina Hagen, Auf'm Bahnhof Zoo im Damenklo" - Die Stimme ist Wahnsinn" -, wo wir uns auf den Weg zur Schwefelquelle (genau Herminen-Quelle") machten, die wie eh und je stinkend vor sich hin plätscherte. Wilfried an der Schwefelquelle

Über die Lulu-von-Strauß-und-Torney-Straße gings zurück. Wir waren einigermaßen hungrig und gönnten uns in arrowZur Falle" erst einmal Currywurst und Bier. Auf dem Rückweg zum Bahnhof nahmen wir noch im arrowScarabeo" einen Drink, ich hatte zur Happy Hour El Presidente", einen recht wohlschmeckenden Fresh mit Zitrone, Lime, Apricot, Rum, Grenadine, Ananas und Maracuja, den ich durchaus empfehlen kann. Da Wilfried die arrowSchraub Bar" hinter dem Bahnhof nicht kannte, mussten wir noch dorthin, eh' wir unseren erneut pünktlich eintreffenden Rückzug bestiegen.

Was haben wir mitgenommen aus der Residenzstadt, die so beschaulich herüberkommt? Allemal die Gewissheit, dass es sich dort gut leben, ja gar flanieren lässt, in einer weitgehend vom Autoverkehr befreiten Innenstadt. Manch einer/einem in der Provinz ansässigen Zeitgenossin/en würde man - und da war ich mit Wilfried ganz einig - freilich einen Pflichtmonat Neukölln wünschen, um sie/ihn von latenter Fremdenangst zu kurieren.