Zusammenfassung

Otto Gross bedankt sich für einen Brief von Frieda Weekley. Er bedauert, daß die Schönheit ihrer Liebe nicht fruchtbar geworden ist, es aber noch sein solle und eine "dauernde Gestalt" bekommen. Möglicherweise war Frieda Weekley von ihm schwanger.

Er teilt ihr mit, daß seine Frau Frieda nun in Graz (vermutlich bei ihrer Familie) ist und es zwischen den Eheleuten "so gut wie noch nie" sei. Frieda Gross habe ihm geschrieben, daß sie bei ihm in München "und in der Freiheit den Weg zu sich selber gefunden" habe.

Gross hat den Kontakt zu Frieda Weekley's Schwester Else Jaffé erneuert, die sich - wegen der Beziehung zu Frieda Weekley - von ihm abgewandt hatte und mit einem anderen Mann, den Gross verabscheut und den er als Gegenpart seiner Ideale sieht, eine Beziehung eingegangen war. Sie habe ihm einen "frohen und sonnigen Brief" geschrieben und ihm versichert, daß er um sie "nie mehr Angst zu haben" brauche, sie wisse, was sie einander seien.

Otto Gross an Frieda Weekley


II
Meine Geliebte,
vor Allem tausend Dank
für Deinen prachtvollen letzten Brief -
dafür, dass Du mich immer von neuem
diese verschwenderische Fülle Deiner Seele
schauen lässt - Du selber hast wohl
keine Ahnung davon, wie genial Du bist,
wie wunderbar Kraft und Wärme so
elementar als Allem hervorquillt, dem
Du von Deinem Leben eingehaucht hast - - -
es ist, als strömte mir aus Deinem Brief
die Wärme Deines Körpers zu, so süss
und kraftvoll, wie eine Welle beglückender
befreiender Sinnlichkeit - - wie Du sie
lebst und schenkst, Du in Freuden Geliebte - - -
Du, dass unsere Hoffnung sich
nicht erfüllt hat, das ist mir sehr schwer
- ich habe erst begriffen, wie ich mich
gefreut hatte - nicht nur für Dich - aus
einer unmittelbaren Sehnsucht, dass solche
Schönheit der Liebe fruchtbar würde - - -
die Sehnsucht lebt und drängt nach Er-
füllung - lass ihr Erfüllung werden, Ge-
liebte - - wie schön es doch ist, nun noch
einmal in dieser Sehnsucht, in diesem Willen
sich lieben zu dürfen - - - - - - -

Ich habe eine heisse und verlangende
Sehnsucht darnach, dass unsere Liebe
fruchtbar werden soll - ich sehne mich
darnach als einer lebenden Verkörperung für dieses
unaussprechlich grosse Gefühl des jubelnden
und stolzen Ja-Sagens zu dieser Liebe
- für meine stolze Freude an dieser Liebe.
Ich fühle einen [1] heissen Wunsch, dass Alles, Alles
was wir in unserer Liebe je erleben - dass Alles
irgend eine dauernde Gestalt bekomen, irgendwie
weiterleben soll - jedes Bewusstwerden
unserer innersten Seelenliebe und jeder
tolle Kuss - - -
Ich bin so überreich an Liebe
- so unerhört viel wird mir geschenkt
vom Herrlichsten - ich fühle das als
eine große Verantwortung, das Beste,
das ich vermag, zu leisten und zu sein -
Du Geliebte, Du warst immer
so gut zu mir, wenn ich um Frieda [2]
in Sorgen war - denk Dir, es ist jetzt
zwischen ihr und mir so gut wie noch nie.
Sie ist jetzt in Graz und schreibt mir, dass
sie hier in München und in der
Freiheit den Weg zu sich selber gefunden
hat und damit den Weg zu mir - - - -

2.
Das ist jetzt die Erfüllung der
unaufhörlichen Sehnsucht der ganzen
Jahre - Erfüllung und neuer Anfang -
ich habe sie ja erst gewonnen - - - -
Du, neulich habe ich an Else [3]
geschrieben - ich hatte gerade ein wenig
Sorge um sie und schrieb ihr davon
und fragte auch, ob ich wohl nie mehr
Angst haben brauchte, sie könnte
wegen meiner Liebe zu Dir Etwas gegen mich
[? Wort unleserlich] - und heute schreibt
sie mir in einem frohen und son-
nigen Brief : "um mich brauchst
du nie mehr Angst zu haben -
ich weiss, was wir Einander sind" - - -
Du, Geliebte, es ist mir, als giengen
an allen Horizonten Sonnen auf. -


1) Das vorstehende Wort wurde von O.G. nachträglich in den Text eingefügt
2) Gemeint ist Gross' Ehefrau Frieda, geb. Schloffer
3) Gemeint ist Frieda Weekley's Schwester Else Jaffé, geb. von Richthofen